Friedensfahrradtour atomwaffenfrei – Verfassungs- und Völkerrechtsfragen endlich ernst nehmen!

Gespeichert von Rudi am
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Dienst am Weltfrieden in der Präambel des Grundgesetzes? Verstößt die Drohung mit Massenvernichtungswaffen nicht grundsätzlich gegen Art. 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“? Sind deutsch-US-amerikanische Nuklearbomben mit dem 1969 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag vereinbar? Das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strasbourg halten diese Fragen für verzichtbar: 20 + 5 letztinstanzliche Beschwerden von Aktivist*Innen des zivilen Ungehorsams am „Fliegerhorst Büchel“ wurden seit 2001 (noch) nicht zur Prüfung angenommen. Grund für 5 Kläger*Innen und Unterstützer, nun die beiden Gerichte mit einer Spur der Erinnerung zu verbinden – mit Megaphon, Theater und auf dem Fahrrad.

Bekanntlich lagern etwa 20 US-amerikanische Atombomben auf dem Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt Büchel (Eifel). Friedensbewegte sahen sich immer wieder genötigt, zu dem Mittel des Zivilen Ungehorsams zu greifen. Ihre Go-In-Aktionen, teils mit Besetzung der Startbahn oder eines Atombunkers, stehen in direktem Zusammenhang mit den Verfassungsbeschwerden. Die Beschwerdeführenden hatten gegen ihre Verurteilungen Beschwerden eingereicht, u.a. da die Vorgerichte die Kriterien des Rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) und die Argumentationen zur Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffenstationierung nicht hinreichend geprüft hätten. Statt dessen verurteilten sie nach den Paragraphen zu Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Irrelevant war beispielsweise: Deutschland ist laut Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag u.a. verpflichtet, Atomwaffen weder mittelbar noch unmittelbar anzunehmen. Und die durch unsere Regierungen praktizierte Atomwaffen-Stationierung bedroht unser aller Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2+3 der Europäischen Menschenrechtskonvention). 

Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht noch nie eine der Beschwerden zur Behandlung angenommen. Das hinderte Lies Welker am 21.9.2023 aber nicht daran, auch wegen ihrer Verurteilung eine Beschwerde einzureichen. Dieses tat Lies genau einen Tag vor dem Protest aller Beschwerdeführenden „20 Verfassungsbeschwerden gegen 20 Atombomben“, womit das BVG wieder die Chance hat, sich doch noch mit dem Thema der Grundgesetz- und Völkerrechtswidrigkeit der nuklearen Teilhabe zu beschäftigen. Lies performte am Freitag die goldene Justitia gegenüber dem Haupteingang des BVG, mit der das Gericht aufgeweckt werden sollte.

Am Montag, 25.9. wurde auch vor dem EGMR im 80 km entfernten Strasbourg „Justitia aufwecken“ aufgeführt, da dieses Gericht sich ebenfalls noch nicht gerührt hatte. Seitdem gab es wenigstens Eingangsbestätigungen an die fünf Kläger*Innen. Bereits 2021 hatten zwei vom BVG ignorierten Beschwerdeführenden Klage gegen die Nichtbehandlung beim EGMR eingelegt. Bis heute kamen drei weitere hinzu, zusätzlich bereiten zwei Kläger einen Appell an das Gericht des Europarats vor. Zur rechtlichen Situation der Atomwaffen-Stationierung und den Verfahren sprachen von den Beschwerdeführenden die US-amerikanischen Aktiven John LaForge und – in einem Grußwort – Susan Crane, die Sprecherin der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ und Klägerin Marion Küpker, sowie mit einem schriftlichen Beitrag die Rechtsanwältin Anna Busl. Keine Großdemo, aber ein weiterer Schritt der Bewusstwerdung: 30 Teilnehmende sowie Passanten hörten zu.

Performance "Justitia aufwecken" am EGMR Strasbourg, 25.9.2023

Performance "Justitia aufwecken" am EGMR Strasbourg, 25.9.2023

Bereits am Donnerstag hatten die Beschwerdeführenden zu einer Informationsveranstaltung im Internationalen Begegnungszentrum Karlsruhe eingeladen. Die einzelnen Aktivist*Innen erzählten ihre Geschichten, zeigten Bilder von den Go-In Aktionen und was sie dazu motivierte, diese durchzuführen. Die Beiträge umrahmte der Sänger und Liedermacher Gerd Schinkel (Köln) gekonnt musikalisch.

Herzlichen Dank auch an die Karlsruher Friedensbewegung, die die dortigen Aktionen tatkräftig unterstützte. Insbesondere die örtliche DFG-VK mit viel Organisationsarbeit und anderem mehr. Menschen aus dem Wohnprojekt MiKa brachten die Friedensaktivisten privat unter und stellten in ihrem Kulturhaus die Besprechungs- und Verpflegungsmöglichkeiten bereit. 

Am Samstag fuhren dann endlich die 11 Fahrradfahrer*Innen los.   

Weitere Beschwerdeführende nahmen an der Aktion im Begleitfahrzeug teil. Sicher geführt von der 18-jährigen Amelie Rester, radelten wir erst nach Wörth am Rhein, querten bei Lauterbourg die Grenze zu Frankreich und später den Rhein bei Seltz. Das Schloss in Rastatt bekam noch für ein Fotoshooting einen Besuch, bevor die Übernachtung in Rheinmünster erreicht wurde. 

Am Sonntag war die erste Station das Friedenskreuz in Bühl. Dort stieß Klaus aus Offenburg zu uns, der die Radgruppe auf landschaftlich reizvollen – wenn auch verspätungsfördernden – Wegen in seine Heimatstadt führte. Hier hatte die DFG-VK sich toll ins Zeug gelegt, um eine kleine, aber feine Kundgebung samt Infostand und Grußwort der Stadt auf die Beine zu stellen. Gerd Schinkel gestaltete mit seinem für die Aktion entworfenen Justitia-Lied wieder einmal den musikalischen Part der Friedensfahrradtour. Dort wurde an die 13 „Forderungen des Volkes“ erinnert, die im September 1847 im Salmen zu Offenburg beschlossen worden waren. Ein weiterer aktueller Artikel 14 zur Friedenserhaltung und Abschaffung aller Atomwaffen wurde proklamiert, wenn auch nicht wie geplant an der gleichen historischen Stätte, da der Salmen kurzfristig anderweitig genutzt wurde.

Vorstellung der 13. "Forderung des Volkes" in Offenburg, 24.9.2023

Am Montag standen zwar nur 8 km auf dem Programm, aber durch die Straßenzüge einer unbekannten Stadt. Wieder brachte uns Amelie pünktlich zum Ziel, dem EGMR in Strasbourg. Die „manifestation“ war ähnlich wie in Karlsruhe, konnte aber – wie von den Anmeldenden nur mittels elektronischer Hilfsmittel vermutet – nicht auf dem weiten Platz am Menschenrechts-Gerichtshof stattfinden, sondern nur vor dem vergitterten Haupteingang an der recht ruhigen Hauptstraße. Jedoch kamen viele Beamte auf ihrem Weg von der Mittagspause oder nach Hause vorbei, und einige nahmen sich unser französisches Flugblatt mit, redeten sogar ein paar Worte. Ob unser Anliegen bis zu mit den Klagen befassten Richter*Innen vorgedrungen ist? 

Die üblichen Herausforderungen einer Friedensfahrradtour wie die spontane Verweigerung des gebuchten Leihanhängers oder die Erkrankung des Begleitfahrers konnten einen Meister der Improvisation wie Michael Sünner nicht aus der Ruhe bringen. Dank gebührt auch heimischen Tourenleitern des ADFC für ihre Routenvorschläge. Oder Patrick aus Lunéville für seine Hinweise zum Anmeldeprozedere einer Manifestation in Frankreich. Auch allen Teilnehmern, die sich aktiv in die Gestaltung der Friedensfahrradtour eingebracht haben. Und vor allem der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ für die Idee und monatelange Vorbereitung.

Exaktere Informationen zu den Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerden, den Aktionen gewaltfreien Widerstands und dem juristischen Ablauf können nachgelesen werden auf: www.atomwaffenfrei.de und www.buechel-atombombenfrei.de.

Willi Rester, Johannes Wollbold und Marion Küpker, 5.11.2023
Sämtliche Fotos von Stefanie Intween.