Es war eine Täuschung, daran zu glauben, dass es Friede sei, wenn die Kriege möglichst weit weg sind

Gespeichert von Rudi am
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Der Krieg war nie weg. Das ist die Ent-Täuschung, die mich mit der Invasion Russlands in die Ukraine erreicht. Es war eine Täuschung, daran zu glauben, dass es Friede sei, wenn die Kriege möglichst weit weg sind. Obwohl, so weit weg waren sie eigentlich nicht. Der Krieg im Balkan, die Kriege in Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen, Mali, Kongo, Jemen, Myanmar, Mexiko sind mehr oder weniger gegenwärtig. Das Institut für Internationale Konfliktforschung hat im vergangenen Jahr 21 Kriege registriert. Wobei hier nur die großen mit mehr als 10.000 Toten im Jahr gezählt wurden. Es wird gefochten, vernichtet, zerstört und gelogen. Der Weg des Krieges ist gezeichnet mit zivilen Opfern, wie alle Bilder zeigen. Der Krieg ist eine kollektive Gewaltanwendung verbunden mit Rechtfertigungen, die meist Sicherheit verheißen. Für einen Krieg braucht es einen Gegner. Dieser ist als böse markiert. Im Irakkrieg waren es die fingierten Giftgasbestände, heute ist es der Genozid an der Bevölkerung. Die Folgen: abertausende Menschen sterben, unsägliches Leid der Überlebenden, Verarmung und die Fixierung auf die alleinige Antwort, die ein solch böser Mensch versteht. Diese alleinige Antwort ist dann die Verschwendung von lebenswichtigen Ressourcen für militärische Güter, Ausbildungen und Androhungen. Diese Aufrüstung verspricht Sicherheit und den Erhalt des Bestehenden. Was eine ziemlich dreiste Lüge ist. Denn Aufrüstung wird die Sicherheit und die Zukunft der nachfolgenden Generation zerstören.

Wir sind vorbereitet!

Doch wir sind gut vorbereitet. Nach zwei Jahren Pandemie sind viele Menschen nicht mehr in der Lage, die Komplexität eines Konfliktes oder Krieges zu verstehen. Einige Präsidenten sprachen von einem „Krieg“ gegen das Virus. Diese Vorgehensweise hat polarisiert und aufgeteilt in die „Guten“ und die „Bösen“. Im Ergebnis herrschte Sprachlosigkeit. In den Teams, die ich diese Jahre begleitet habe, litten Unzählige unter der Angst und fanden durch die Polarisierung keine andere Möglichkeit, als die Gegenseite zu verteufeln. Diese Art der Propaganda wird heute fortgesetzt. Gestern traf ich eine Person, die ich sehr schätze. In der ökologischen Bewegung aktiv und beruflich auch darin tätig. Ich versuchte mit ihm ins Gespräch zu kommen und siehe da, die gleiche Sprachlosigkeit, wie um das Thema der Pandemie. Entweder ist das Böse die russische Regierung oder ich bin naiv.

Es war abzusehen.

Es war abzusehen, dass dieser Krieg ausbrechen wird. Kollegen*innen aus der Friedensbewegung in Russland und der Ukraine berichten seit 2014 darüber. Seit dem Herbst 2021 war klar, dass größere Vorbereitungen militärischer Art in Russland im Gange waren. Die Rufe nach einem Nato-Beitritt der Ukraine, die Sprache von der offenen Tür eines Militärbündnisses, waren nicht zu überhören. Der Krieg im Donbass und Luhanzk wartete auf eine Eskalation. Die Möglichkeiten mit der russischen Regierung zu einer zivilen Beilegung zu kommen, waren lange vorhanden. Die wirtschaftlichen Sanktionen, die gerade eingesetzt werden, waren ebenfalls schon in dieser Zeit möglich. Wieso gerade jetzt diese Eskalation vorangetrieben wurde, wird aktuell unterschiedlich bewertet. Auf jeden Fall gibt es nicht nur von Russland Interessen an dieser Eskalation. Es hilft da nur ein kleiner Blick auf diejenigen, die von diesem Krieg profitieren werden. Sie alle glauben, dass dieser Krieg in begrenztem Maße ihnen Vorteile schaffen könnte. Es ist und wirkt wie eine Art Wettspiel, das sehr viele Verlierer und wenige Gewinner kennen wird.

Der Frieden im Krieg

Ich versuche seit mehr als 50 Jahren für Frieden und Gewaltfreiheit einzutreten. Vor fast 40 Jahren machte ich dies zu meinem Beruf. Es war und ist nicht immer einfach, sich diesen einfachen Argumenten der Gewalt zu entziehen und den Blick auf die Alternativen zu richten. Zu massiv sind die Propagandainstrumente der Militärs. Sie versprechen Dir ja den Frieden, in dem sie für den Krieg rüsten. Auch hier waren die letzten zwei Jahre eine massive Herausforderung. Enorme Einschränkungen der Grundrechte für ein Versprechen, nicht so massiv krank zu werden. Nun haben wir es wieder. Dieses Mal ist es die Zukunft der Menschheit, die auf dem Spiel steht. Wieder das Heilsversprechen: Militärische Aufrüstung wird uns Sicherheit und Frieden bescheren. Aber Krieg ist und schafft Ohnmacht. In unserem Friedensverständnis* ist der Ohnmachtsraum von den Unwerten gefüllt. Es herrscht Lüge, Ausbeutung, Selbstverleugnung, Erniedrigung, Krankheit usw. Die Handlungsformen der Ohnmacht und damit des Krieges sind Willkür, Manipulation und Gewalt.

Der Friede in diesem Wahn des Krieges wirkt klein, unbedeutend. Das ist auch die Krise, mit der ich seit Beginn meiner Arbeit immer wieder konfrontiert bin. Der Krieg ist allgegenwärtig und produziert unendliches Elend. Das berichten auch ernüchterte Kriegsveteranen, die wir ja seit dem Beginn der Auslandseinsätze vermehrt haben.

Der Frieden ist jedoch eine Macht. Er ist wertegeleitet, sucht nach der Würde, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Gesundheit, usw. und besteht darauf, dass wir unser Handeln verantworten, in eine vertrauensvolle Beziehung bringen und ständig um Dialog ringen. Für Viele wirkt das wie eine Umkehrung der Grundbegriffe Macht und Ohnmacht. Verwirrend, aber wichtig: Krieg ist ein Ausdruck von Ohnmacht und erzeugt Ohnmacht!

Der Frieden wirkt angesichts der zerstörerischen Gewalt des Krieges wie der Krokus vor einer Panzerkette. Die Krokusse werden diesen Panzer überleben! Das ist meine Hoffnung. Es ist kein Versprechen! Dass diese lebendige und werteorientierte Welt den Frieden ausmachen wird. So ist die Friedensarbeit in den Zeiten des Krieges eine Pflanzaktion. Wir setzen Samen in die Welt. Wir geben den Menschen die Hoffnung auf etwas Anderes. Das ist dann die Arbeit der*des Friedenspädagogen*in. Immer wieder aufs Neue die Hoffnung, auf ein lebenswertes Leben zu pflanzen. Immer wieder verdeutlichen, dass Aufrüstung zum Krieg führt und keinerlei Sicherheit und Frieden garantiert. Immer wieder den Frieden vorstellbar machen. Den Frieden, der die Konflikte und deren konstruktive Bearbeitung kennt.

Der Krieg produziert Bilder und Erzählungen, die fesseln. Wir können Bilder und Erzählungen auf den Weg bringen, die uns an Werte, wie die Gerechtigkeit, Würde usw. binden. Das ist eine andere Dimension. Diese sollten wir in die Welt tragen. Geschichten und Bilder des Friedens. Wie z.B. die 300 unbewaffneten Menschen, die sich der russischen Armee gegenüber aufstellen, damit ihre Stadt und das Kraftwerk nicht zerstört werden. Oder die Menschen aus Mexiko, die in ihrer Bezirkshauptstadt ein Dorf aufbauen, um zu zeigen, dass ihnen Danone das Wasser zum Leben abgräbt.  Oder… Deswegen ist es gerade jetzt wichtig, in die Schulen und Hochschulen zu gehen. Sich dem auszusetzen, dass wir als naiv betrachtet werden. Sich daran erfreuen, dass die Grundlage für einen Frieden schon da ist. Wir haben die letzten Jahre nicht umsonst gearbeitet. Wir können viele Bilder pflanzen und andere Geschichten erzählen…

Karl-Heinz Bittl-Weiler, https://fit-for-conflict.de/ kontakt@eiccc.org