Friedensarbeit der Kirchen in der DDR – Impuls 3

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Friedensarbeit der Kirchen in der DDR – auszurangierendes Erbe oder Zukunfts-Ressource?

Impuls 3

„Friedensarbeit der Kirchen in der DDR – auszurangierendes Erbe oder Zukunfts-Ressource?“ so lautete das Thema der 13.Friedenswerkstatt am 23. 10. 2021 in Magdeburg, Hoffnungsgemeinde. In der 3. Folge zu diesem Erbe wird der Beschluss der Bundessynode von 1987 im Wortlaut dokumentiert, damit sich jede*r ein eigenes Bild machen kann.  Anschließend soll ein kurzer Kommentar noch zur Einordnung verhelfen. Zunächst das Abschlussdokument der Synode, des obersten Gremiums der evangelischen Kirchen in der DDR aus Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen.

Der Bund Evangelischer Kirchen - Beschluß der Synode des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR zum „Bekennen in der Friedensfrage“ vom 22. September 1987

Im Gehorsam gegen den dreieinigen Gott haben wir unsere Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung ausgesprochen. Für unser Bekennen, für unsere Orientierung, für unser Handeln heißt dies:

 
  1. Wir bekennen: Gottes Liebe gilt ohne Unterschied allen Menschen. Gott stellt sich insbesondere an die Seite der Schwachen und Geschlagenen.

    Daraus folgt: Kein Mensch und kein Staat darf seine Sicherheit und Freiheit über die anderer stellen und Menschen zu Geiseln machen, die seine Sicherheit und Freiheit garantieren sollen. Der Geist der Abschreckung aber steht im Widerspruch zum Geist Gottes.

    • Er erhebt die eigene Sicherheit zu einem Götzen, für den man bereit ist, Menschen millionenfach zu opfern und das Leben des Planeten aufs Spiel zu setzen.
    • Er traut den Menschen tatsächlich die Unmenschlichkeit zu, andere Menschen massenhaft zu vernichten.
    • Er zwingt zum Freund-Feind-Denken anstelle von Völkerverständigung und Zusammenarbeit.
    • Er setzt auf die Macht des Stärkeren, nicht nur im Ost-West-Konflikt, sondern auch im Konflikt zwischen Nord und Süd.

    Weil wir Gott, den Herrn, bekennen, widersprechen wir dem Geist der Abschreckung. Auch wir sind in diesem Geist gefangen. Wir bitten, daß Gott uns davon befreit.

    Wir bekennen: Gott befreit uns durch Christus aus der Knechtschaft der Angst, die eine Folge der Sünde ist. Er befreit von Abhängigkeit und Unterdrückung.

    Daraus folgt: Kein Mensch und kein Staat darf durch Drohung mit Massenvernichtungsmitteln Angst und Abhängigkeitsverhältnisse schaffen, um sich so seinen Frieden zu erkaufen und Macht auszuüben.

    Die Logik der Abschreckung aber steht im Widerspruch zum Versöhnungshandeln Christi.

    • Sie zwingt trotz aller ethischen Proteste und vernünftigen Einsichten zum Wettrüsten, damit jede Seite sich wenigstens so stark fühlt, daß sie zurückschlagen kann.
    • Sie will auch im schlimmsten möglichen Fall sicher sein. Sie verspielt damit die Chancen der Verständigung. Sie vernichtet, was sie zu schützen vorgibt: Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit.
    • Sie sucht die eigene Sicherheit, indem sie Angst verbreitet.
    • Sie hält die armen Länder in Abhängigkeit, damit sie die Balance der Reichen nicht stören.

    Weil wir Christus nachfolgen, widersprechen wir der Logik der Abschreckung.

    Auch wir erliegen dieser Logik. Wir bitten, daß Christus uns auf seinen Weg führt.

    Wir bekennen: Gott schenkt uns mit Christus seine Gerechtigkeit. Er will, daß sie das Miteinander der Menschen bestimmt. Er will, daß wir mit den anderen teilen, statt sie zu beherrschen.

    Daraus folgt: Kein Mensch und kein Staat darf das Zusammenleben der Menschen durch Geist und Logik der Abschreckung vergiften, sie zu Mitteln der Politik machen und damit die Wege zur Gerechtigkeit verbauen.

    Die Praxis der Abschreckung aber steht im Widerspruch zur Gerechtigkeit Gottes.

    • Sie räumt militärischen Sicherheitsüberlegungen den Vorrang vor der Gestaltung eines gerechten Zusammenlebens der Menschen ein.
    • Sie führt zu einer Militarisierung des Lebens und Denkens von Kindergarten und Schule bis hin zur Weltwirtschaft und Wissenschaft.
    • Sie vergeudet die materiellen und geistigen Schätze der Menschheit. Sie verschärft die Ausbeutung der armen Länder durch die Industrienationen.
    • Sie tötet schon heute durch Hunger und Verelendung auch ohne Krieg.

    Weil wir dem Geist Gottes folgen, widersprechen wir der Praxis der Abschreckung.

    Auch wir sind in diese Praxis verwickelt. Wir bitten, daß Gott uns jeden Tag so viel Einsicht und Kraft gibt, wie wir brauchen.

  2. In einer Welt mit Massenvernichtungsmitteln gibt es keine gerechten Kriege mehr.

    Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein. Die Aufgabe des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen, kann heute nicht mehr wahrgenommen werden durch ein Sicherheitssystem, das auf Abschreckung beruht, in dem Armeen über Massenvernichtungsmittel verfügen und in der Lage sind, andere anzugreifen.

    Diese Aufgabe erfordert vielmehr die Entwicklung eines Systems „Gemeinsamer Sicherheit“, das auf Vertrauensbildung beruht. Das System „Gemeinsame Sicherheit“ bahnt politische Wege der Konfliktregelung. Es schließt die Entwicklung struktureller Nichtangriffsfähigkeit durch Abrüstung auf allen Ebenen und Umrüstung auf defensive Waffenrüstungen ein. Es zielt auf Gerechtigkeit gegenüber den armgemachten Völkern. Nur im Rahmen eines solchen Konzeptes ist militärische Verteidigungsbereitschaft noch zu rechtfertigen.

    In dieser Situation setzt sich die Kirche für gewaltfreie Förderung und Sicherung des Friedens ein. Jeder Christ, der vor die Frage des Wehrdienstes gestellt ist, muß prüfen, ob seine Entscheidung mit dem Evangelium des Friedens zu vereinbaren ist. Wer heute als Christ das Wagnis eingeht, in einer Armee Dienst mit der Waffe zu tun, muß bedenken, ob und wie er damit der Verringerung und Verhinderung der Gewalt und dem Aufbau einer internationalen Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit dient. Die Kirche sieht in der Entscheidung von Christen, den Waffendienst oder den Wehrdienst überhaupt zu verweigern, einen Ausdruck des Glaubensgehorsams, der auf den Weg des Friedens führt.

    Weil wir Gott als Herrn bekennen, sind wir alle herausgefordert, durch deutliche Schritte zu zeigen, daß Einsatz, Besitz und Produktion von Massenvernichtungsmitteln unserem Glauben widersprechen.

    Unsere praktischen Schritte müssen so vielfältig und konkret sein, wie das Überleben der Menschheit vielfältig und konkret bedroht ist.

  3. Wir nennen heute beispielhaft die folgenden Schritte und bitten die Gemeinden, diese Schritte weiter zu konkretisieren und zu ergänzen.

    1. Weil der jetzt zu erwartende Abbau von Mittelstreckenraketen ein ermutigender Anfang der Abrüstung ist, setzen wir uns nun umso mehr für den weiteren Abbau der Atomwaffen, die Schaffung atomwaffenfreier Zonen, das Verbot chemischer und biologischer Waffen, das Verbot jeder Weltraumrüstung, die Begrenzung konventioneller Waffen und die Truppenreduzierung ein.
    2. Weil die Konfrontation zwischen den Militärblöcken überwunden werden muß, sehen wir unsere besondere Aufgabe als Deutsche, dafür zu wirken, daß von deutschem Boden Frieden ausgeht.
    3. Weil die Verteuflung des anderen die Gewaltbereitschaft erhöht, wollen wir uns der feindseligen Rhetorik gegen jedermann enthalten, uns gegenseitig ermahnen und andere dazu auffordern.
    4. Weil alle Abgrenzung zwischen Menschen das Entstehen von Feindbildern fördert, wollen wir uns für mehr Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen einsetzen und dazu beitragen, daß viele Menschen unseres Landes die Bürger anderer Staaten in ihre Umgebung und mit ihren Problemen kennenlernen und besser verstehen.
    5. Weil erst ein Staat, in dem mündige Bürger Mitverantwortung wahrnehmen können, den Friedensprozeß in der Welt wirksam fördern kann, wollen wir uns dafür einsetzen, daß die Mündigkeit der Bürger gestärkt wird durch sachgerechte Information, offene und öffentliche Diskussion und gemeinsame Suche nach Wegen in die Zukunft.
    6. Weil wir lernen müssen, unsere Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen, wollen wir mit der Friedenserziehung zu Hause beginnen und uns für die Friedenserziehung in Kindergarten, Schule und Gesellschaft einsetzen.
    7. Den Frieden auch der anderen gefährden, wollen wir die Probleme in unserem Land offen ansprechen, nach ihren Ursachen suchen und zu ihrer Überwindung beitragen.
    8. Weil Vertrauen und Freundschaft den Frieden fördert, wollen wir zur Verbesserung unseres Verhältnisses zu den Menschen in Osteuropa, insbesondere zu denen, die bei uns leben und arbeiten, beitragen.
    9. Weil unser derzeitiges Verhältnis zu den armen Ländern und die ungerechte Weltwirtschaftsordnung eine ständige Gefahrenquelle und eine Bedrohung des Friedens sind, wollen wir uns für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzen. Ein kleines Zeichen können wir mit der Verwirklichung des 2%-Appells setzen.
    10. Weil unser räuberischer Umgang mit der Natur den Frieden und das Leben unserer Kinder und Enkel bedroht, müssen wir uns einüben in einen Lebensstil, der unserer natürlichen Umwelt gerecht wird und Zukunft hat.

Gedanken zur Einordnung und zum Weiterdenken

1987 war die Zeit des Kalten Krieges und der Stationierung von atomaren Raketen zwischen Ost und West. In dieser Zeit legt die Bundessynode ein „Bekenntnis“ ab. Dadurch hebt sie ihre Botschaft aus der einfachen Verlautbarung eines üblichen Abschlussdokument als besonders wichtig, ja als „Bekenntnisfall“ heraus. Und mit der in der Tradition der Taufe verbundenen individuellen Praxis der „Absage“ an das, was dem Glauben widerspricht, weitet die Bundessynode hier die „Absage“ auf die gesellschaftliche Situation aus.

Aus Gründen des Glaubens –
den Glauben an Gott als den, dem wir das Leben verdanken,
den Glauben an Gottes Handeln in Jesus Christus,
den Glauben an Gottes Wirken im Heiligen Geist –
werden Geist, Logik und Praxis der Abschreckung abgelehnt, wird ihnen konsequent widersprochen.

Darin sieht Kirche eine Frage des Bekennens. Der Bund Evangelischer Kirchen bleibt jedoch nicht bei einer Absage stehen, sondern entfaltet die Alternative: „Gemeinsame Sicherheit“.

„Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein.“ Zugleich bezieht Kirche hier eine klare, gewaltfreie Position und benennt Wehrdienstverweigerung als einen „Ausdruck des Glaubensgehorsams“. Auch das ist Teil des Bekenntnisses.

Seit wir der EKD angehören, ist damit Schluss.

Die praktischen Schritte des „Bekennens“ werden an die Gemeinden weitergegeben.

  1. Atomwaffenfreie Zonen:
    In Torgau haben wir mit Postkarten gearbeitet, auf denen das Ortseingangsschild „Torgau“ zu sehen war und unter dem Stadtnamen „atomwaffenfreie Zone“ stand. Das hat die „Ordnungskräfte“ auf den Plan gerufen und Konsequenzen nach sich gezogen.
    Im internationalen Rahmen setzte sich die DDR-Regierung für Abrüstung ein, doch wenn jemand im Landesinneren das auch tat, wurden die „Ordnungskräfte“ aktiv. So auch bei dem Symbol – Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ und dem Grafikerpreis von Gerhard Voigt, dessen Bild (Ein Mann zerbricht das Gewehr vor der Weltkugel.) von der UNO den 1. Preis bekam, aber in der DDR nicht verwendet werden durfte.

  2. „..wirken, daß von deutschem Boden Frieden ausgeht.“ Erich Honecker hat offiziell davon gesprochen. Doch während er deshalb zur Festigung der Militärblöcke beitrug, geht Kirche den entgegengesetzten Weg. „Frieden“ – ein Wort, so unterschiedlich verstanden und so konträre Wege dahin. Befreiend: Das Machtmonopol der staatlichen Friedenspolitik erfährt hier eine Alternative und wird dadurch gebrochen.

  3. Feindselige Rhetorik durch sachliche und menschliche Rhetorik ersetzen:
    Kirche macht nicht mit, widerspricht und fordert andere dazu auf. Eine Unterlassung und offensive „Kampfansage“, die Bildung, Medien, Parolen u.a.m. betraf.

  4. Begegnungsmöglichkeiten fördern: Hintergrund sind die Unfreiheit beim Reisen in westliche Länder vor allem, doch zunehmend auch in östliche Länder (wegen der Proteste in Polen, der Auswanderung nach Ungarn, in die CSSR, wegen des neuen Denkens in der Sowjetunion. 1989 war die DDR völlig isoliert.
    Reise- und Begegnungsmöglichkeiten gehörten 1989 zu den zentralen Forderungen der friedlichen Revolution. Wie viele aus der Bevölkerung wollten einfach nur mal Reisen…!

  5. Mitverantwortung mündiger Bürger, sachgerechte Information, offene und öffentliche Diskussion gemeinsame Suche nach Wegen…
    In der DDR gab es keine Demokratie, sondern eine ideologisch untermauerte Diktatur (angeblich des Proletariats). Die Medien waren gleichgeschaltet und zensiert. Schulungen wurden verstärkt, Diskussionen waren nicht vorgesehen, weil die Wahrheit ja fest stand und klar war und nur noch durchgestellt werden musste. Gemeinsame Suche nach Wegen, Andersdenkende – dafür gab es aus Sicht der Staatsorgane weder Bedarf noch Übungsfelder. Insofern greift dieser Punkt das Zentrum des Systems an. Eine längst und immer wieder notwendige Relativierung des ideologischen Anspruchs und seiner durch Angst geschürten Durchsetzung – daher befreiend für die Basis.

  6. Friedenserziehung: In den Bildungsstätten der DDR waren Wehrkunde und militärische Ausbildungen eingeführt worden. Die Kirchen konfrontierten damit die Bildungs- und Militärpolitik der DDR und deren monopolisierendes Friedensverständnis. Befreiend für die Gemeinden: Es gibt sie wirklich, die Alternativen, auch wenn sie Mut erfordern.

  7. Schwelende Konflikte in der Gesellschaft: Die gab es nach offizieller Lesart nicht, weil es sie – systemimmanent – nicht geben durfte. Hier behauptet Kirche, dass die Wirklichkeit anders aussieht, also sie von der SED schöngefärbt wird.
    Ein Angriff auf die sozialistische Gesellschaft, so wurde das offiziell aufgenommen. An der Basis kam diese Botschaft befreiend an.

  8. Osteuropa steht hier im Mittelpunkt, weil von Deutschland Krieg in besonderer Weise dorthin getragen worden war, weil die DDR Möglichkeiten nach Osten hin entwickelt und begrenzt eröffnet hatte. Dass das Verhältnis zu den Menschen dort noch mehr Vertrauen und Freundschaft braucht, wird hier vorausgesetzt. Damit sind die offiziellen Kontakte, auch die „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ als ungenügend und zu formell verdeutlicht. Eine befreiende Provokation von der Staatspolitik.

  9. Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung kam in der offiziellen DDR-Politik nur ganz begrenzt vor: Diese Länder müssen den Sozialismus annehmen, dann wird alles anders. Dafür sind Leute aus ärmeren Ländern in der DDR ausgebildet und vorbereitet worden.
    Dass die ungerechte Weltwirtschaftsordnung nicht nur durch die DDR oder die sozialistische Wirtschaftsgemeinschaft hervorgerufen worden ist, wird hier nur angedeutet.
    Dem  Gedanken des Weltsozialismus wird hier widersprochen und unabhängig von der Systemzugehörigkeit der Länder Hilfe gefordert. Mit dem 2%-Appell wird die Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen übernommen.

  10. Bewahrung der Natur: In der DDR wurden die ökologischen Probleme zugedeckt. Die Bevölkerung bekam sie zu spüren und wenn sich jemand engagierte, dann kamen die „Ordnungskräfte“ zum Einsatz. Denn das Engagement war Sache der staatlichen Stellen – und die deckten die Probleme eben zu oder verursachten sie. Wenn hier von „räuberischem Umgang mit der Natur“ die Rede ist, dann wird hier eine scharfe und befreiende Kritik an der Umweltzerstörung in der DDR geübt.

Wer einmal diese konkreten Praxispunkte mit den auf Transparenten geschriebenen Forderungen während der friedlichen Herbstrevolution 1989 vergleicht, stellt große Übereinstimmung der zentralen Forderungen fest.

Und wer diese Praxispunkte einmal in das Jahr 2021 überträgt, ist überrascht, wie viele Punkte dem Sinn nach noch aktuell sind und fragt sich, welche dann verändert (verschärft?) werden müssen oder neu dazu genommen werden sollen.

Barbara und Eberhard Bürger