was wir tun können
was wir tun können ist viel
aber was wir unterlassen können noch mehr
unterlassen können wir, dir, Gott, Widerstand entgegen zu setzen
und zulassen was du durch uns wirken willst
das ist mehr als wir je aus eigenem Vermögen tun konnten
und, ach, wieviel weniger! was andere leiden läßt!
*
die Reichen
die Reichen
verarmen, wenn ihr Wohlstand nicht ausreicht um den Hunger zu besiegen
die Starken
sind schwach, wenn ihre Stärke nicht so umfassend ist, dass sie auf ihren Gebrauch verzichten können
die Großen
stürzen sich ins Normalmaß zurück, wenn ihre Größe nicht so groß ist, dass sie die Perspektive des Geringsten einnehmen können
was schaffst du für einen Reichtum
aus unserem Ungenügen, wo wir deiner Güte in unserem Leben Gestalt geben
was bewirkst du für Unzerstörbares
aus unserer Schwachheit, wo wir an deinem Gebot der Liebe keine Abstriche zulassen
was für große Freude erweckst du unter uns
aus unseren sorgevollen Herzen heraus, wo wir uns in deiner Liebe untereinander einüben
dafür danken wir
und bitten:
für diese arme Welt
für die ganze Welt
und darum auch für uns:
um deinen Frieden
*
Der Hirten unverschämter Lobgesang
für Wolfgang Sternstein
Wo der Rückenwind
die Schlüpfrigen
ins Meer treibt
treibt es uns
uferwärts
die Tränen ins Gesicht
Wo der Fahrstuhl
die Leichtgewichtigen
nach oben hievt
kontrollieren wir
kellerwärts
die Feuerleitern
Wo der Schnellzug
die Spurenverwischer
vor die Kameras versetzt
halten wir
freiheitswärts
die Notausgänge frei
Wir sprechen von Hoffnung
unter Verzweifelten
verkünden den Frieden
unter Bomben
leben Gerechtigkeit
hinter Gittern
Und wo es heißt "Frieden, Frieden" aber ist keine Feindesliebe
sagen wir: das ist Krieg
Wo weggesperrt und zum Tode verurteilt wird
fällen wir das Urteil: Das Unrecht läuft frei herum
Wo es heißt: Vertraut, denn wir sind gegen die Bösen, also gut
halten wir uns nüchtern: Ein Wahn nimmt gefangen
So leben wir -
kenntlich machend
die verkehrte Zeit -
die ins Heil gekehrte Zeit:
Wo die Leichtgläubigen
sich ihr Kapital rauben lassen
leben wir
schuldenfrei
als Gottes Gläubiger
Wo die Redseligen
ihre Seele zur Markte tragen
handeln wir
vom Wert befreit
längst mit Gottes neuer Güte-Währung
Wo die Angepassten
noch auf die ihnen planvoll vorenthaltenen Anteile hoffen
verteilen wir
als Gottes Anteilseigner
seine Friedensdividende
als die Bankrotteure dieser Welt
die Kapitalisten Gottes
*
Preisliste
in memoriam Dorothee Sölle
in Zeiten des Krieges
stören Friedensstifterinnen
in Zeiten der Entzweiung
fördern Versöhnerinnen Streit
in Zeiten der Lieblosigkeit
sind die, die reinen Herzens sind, unnachgiebig
in Zeiten der Habsucht
sind die Barmherzigen kompromisslos
in Zeiten der Gewalt
heißen die Gewaltfreien Verräterinnen
in Zeiten der Zerstörung
werden die Tröstenden zu Kollaborateuren
wo der Reichtum verherrlicht wird
gelten die, die sich bedürftig halten, als abgestumpft
wo der Stärkere sein Recht durchsetzt
stören die nach Gerechtigkeit Hungernden
Selig seid ihr, sagt Jesus, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet, wenn sie damit lügen
*
Quelle: Matthias Engelke: im Roten Meer. Gebete V, Steckbrief Nr. 15, Verlag der Buchhandlung Matussek & Sohn, Nettetal 2005
*
Ich habe die Welt überwunden
der Schwache behält die Oberhand?
der Geduldige bleibt? die Güte hat das letzte Wort?
der Starke, der auf Kosten anderer lebt richtet sich selbst zu Grund?
und der Hochmütige sorgt selbst für seinen Fall?
hat der Mensch die beste Festung
der seine Türme abreißt und die Mauern schleift?
und seinem Feind sagt:
ich segne dich?
uns wird keine Last von der Schulter genommen
aber wir werden davon befreit, anderen das Leben schwer zu machen
uns wird kein Stein aus dem Weg geräumt
aber wir werden dazu befreit, keine Stöcke zwischen die Beine zu werfen
uns wird keine Träne erspart
aber wir werden davon befreit, andere zum Heulen zu bringen
Christus unter uns bewirkt:
dass die Tränen anderer getrocknet werden
die Steine anderen aus dem Weg geräumt werden
und die Last anderer mitgetragen wird
und siehe da: wer verliert gewinnt
wer aufgibt bekommt
wer leidet lebt
wer Jesus nachfolgt bleibt
*
Büchelgebet (2002-2008)
der Gegner
I
der Gegner, den wir heute lieben
ist nicht Morgen schon mein Freund
aber heute schon nicht mehr mein Feind
ich bin ihm nicht mehr feind
die Rache, auf die wir heute verzichten
wirkt nicht Morgen schon Versöhnung
aber heute schon das Ende der Vergeltung
denn ich vergelte nicht mehr
die Bosheit, die wir heute unterlassen
schafft nicht Morgen schon den Frieden
aber heute schon ist der Krieg vorbei
denn nun bekriege ich nicht mehr
II
und der Friede, den wir heute leben
ist nicht, weil wir ihn angefangen haben
andere haben damit begonnen
einander nicht mehr zu bekriegen
die Versöhnung, die wir heute leben
ist nicht, weil wir sie erfunden hätten
andere haben angefangen
uns zu vergeben
die Freundschaft, die wir heute leben
ist nicht, weil wir die Begründer sind
andere haben sie gegründet
und uns Treue gezeigt
III
darum bitten wir um
Güte, die das Böse überwindet – so dass auch die Atomwaffen verschwinden
um Liebe, die den Frieden bringt – so dass die Unterstützung für Tod und Verderben unterbleibt
um Erbarmen, die die Not besiegt – so dass die Güter den Armen zukommen
*
Gott wird Mensch
Gott wird Mensch
Mensch in Jesus von Nazareth
Gott rächt sich mit Güte
erklärt uns Kriegstreibern den Frieden
schlägt unter uns Eingemauerten sein Zelt auf
beendet den Streit um das Recht:
denn er verzichtet auf die Anklage
beendet den Kampf um die Wahrheit:
lebt sie selbst
beendet die Sucht nach Sicherheit
macht sich angreifbar
Gott wird Mensch
Mensch in Jesus von Nazareth
*
Das absurde Absurde
die Absurdität der Kriege
Bürgerkriege
Umweltzerstörungen
und Ausbeutung
kann einen schier um den Verstand
die Hoffnung
und den Glauben bringen
dann ist aber auch das genauso absurd
der Neuanfang des Lebens bei jeder Geburt
die mutigen, lebensvollen Blicke der Kinder
die gütigen Worte alter Menschen
die tröstende Hand bei einem Sterbenden
wenn das eine zu Tode erschrecken kann
kann das andere zu Leben erwecken
*
liegt es denn an mir
liegt es denn an mir,
wenn Kinder verhungern?
bin ich es denn schuld,
wenn Krieg ausbricht?
was hab ich denn damit zu tun,
wenn Kinder obdachlos werden?
war ich dabei,
als das Unglück in Fukushima passierte?
was geht mich das an?
genausoviel
wie ich wegsehe
genausoviel
wie ich weghöre
genau das Maß,
das ich nicht wahrhaben will
denn, was ich nicht wahrhaben will,
erschreckt mich ja doch
was ich nicht an mich heranlassen will
zeigt mir doch, wie verhärtet ich schon bin
womit ich nichts zu tun haben will
offenbart ja nur, wieviel Unnützes im eigenen Leben stattfindet
darum bitten wir:
befreie uns Herr, aufzumerken,
wo Gewalt – Lüge und Eitelkeit Menschen irre macht
befreie uns zur Güte deiner Liebe