„Fasten bis Atomwaffen verschwinden“ - Rede an die Stummen Fische - Büchel-Fastenaktion Tagebuch vom 6.-8. August 2012

Gespeichert von Matthias-W Engelke am

6. August 2012, Montag
„Fasten bis Atomwaffen verschwinden“, Rhein-Zeitung vom 6.8.2012


7.51 Uhr – Die Verteilaktion heute war aufschlussreich. Inzwischen scheinen die länger hier Arbeitenden Bescheid zu wissen. Von den gewiss etwa 200 Fahrzeugen, die zwischen 6.11 Uhr und 7.15 Uhr, als wir zu dritt verteilten, ins Atomwaffenlager fuhren hielten die an, die sich spontan dafür interessierten – so hatte ich den Eindruck bei Zweien – und die, die ausdrücklich mit diesem Anliegen und/oder uns sympathisieren: Wenn solch ein Soldat vorfuhr, die Fenster runterkurbelte und unser kleines Präsent annahm und uns dann alles Gute wünschte – das entschädigte für alle vergeblichen Versuche. Das ist uns immerhin vielleicht 12 bis 15 Mal passiert?!
Anders als im letzten und vorletzten Jahr wurde ich bemerkenswert selten mit abfälligen Gesten bedacht, nur zweimal. Einer  zeigte mir den Stickefinger und einer musste mit seiner Hand irgendetwas vor seinen Augen wegwischen.


8.15 Uhr Morgenandacht – Ganz besonders heute gedenken wir der Opfer des Massenmordes durch den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Dazu verlese ich Teile meiner Grußbotschaft an die Friedensbewegung in Wien, wo heute eine große Gedenkfeier stattfindet:

 

„Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

gemeinsam mit Ihnen und mit Euch setzen wir uns ein für eine Welt der Gewaltfreiheit, in diesen Tagen ganz besonders für eine Welt ohne Atomwaffen - in Europa und weltweit!
Indem sich Menschen darum mühen, den Blickwinkel der Opfer einzunehmen, wird bereits die Welt ein Stück verwandelt: So mögen Opfer ihre Würde wiedererlangen und nicht mehr länger nur als "Opfer" wahrgenommen werden. Denn ihre Sicht öffnet in Wahrheit den Blick auf die Welt, wie sie ist und nicht so, wie es sich die Menschen wünschen, die über andere herrschen oder bislang mehr oder weniger gleichgültig am Rande stehen. Aus Opfer werden Leidtragende, Randständige werden zu Mit-Leidenden und aus Täter Menschen die umkehren.
Wir sind entzündet davon, dass diese Waffen ent-zündet werden: Dass sie ohne Zünder und ohne spaltbares Material dahin kommen, wo sie hingehören: In ein Museum. Möglicherweise in ein Museum der Unmenschlichkeit.“

10.47 Uhr Nach der Verteilaktion und Morgenandacht fahre ich zum Duschen, Rasieren etc. in unserer „Basislager“. Schon auf dem Hinweg hören wir den ohrenbetäubenden Lärm der Tornados.
Martin Otto, Wetzlar, schätzt – als wir zurückkommen und fragen – dass es vier bis fünf Starts gegeben habe. Pro Flugstunde verbraucht der Tornado etwa 40.000€.

10.53 Uhr – von weiten ruft ein Autofahrer: „Hoffentlich verhungert ihr da!“ – Vielleicht schon eine Reaktion auf den Artikel im heutigen Lokalteil der Rheinzeitung? Sie berichtete über die Veranstaltung am Samstagnachmittag, über „Pro- und Contra Atomwaffen“ und titelte „Kritiker fasten bis Atomwaffen verschwinden“.


Diese Überschrift – so unsere Gespräche – bringt in der Tat auf den Punkt, was wir vorhaben, nur hat es so deutlich noch niemand von uns gesagt. Es ist eine Kampfansage. Mit dieser Überschrift ist klar, worum es geht. Wir sollten uns mit Walter Wink auseinander setzen, der über den Kampf mit „Mächten und Gewalten“ eine ganze Friedenstheologie erarbeitet hat.

Salvatore Minten, mit seiner Frau Brigitte, ein Künstlerehepaar aus Nettetal, mitsamt dem Schäferhund Nora-Bella von Airport Hannover, gerufen Nora, ein Malinois, treffen ein. Salvatore mit einer ausgedienten Bundeswehrjacke. Prompt hat es den Anschein, als wenn die forbeifahrenden Bundeswehrsoldaten ganz besonders scharf hinschauen, was hier los ist.

Ein Passant mit seinem Rad hält an und meint „hoffen doch sehr, dass diese Dinger hier bald weg sind! Ich wohne in der Nähe und wenn hier was passiert – alle tot!“

Aus dem Atomwaffenlager kommt ein Wagen mit drei jungen Männern in Zivil und rufen uns im Vorbeifahren zu „Macht’s gut!“

Salvatore kommt nach einer kleinen Runde mit seiner Malinois zurück. Diese Schäferhundeart ist ideal als Wachhund geeignet. Die Bundeswehrstaffel hier vor Ort, die die Atomwaffenlager im Lager selbst in besonderer Weise zu bewachen haben, gehen mit vielen Hunden dieser Art Streife. Keine 200 Meter vom Versammlungszelt aus wurde er von einem Mann zur Rede gestellt, der sich als „Wachleiter“ ausgab. Gemeint ist Wachleiter der Hundestaffel am Bundeswehrlager. Die Atomwaffen werden dreifach gesichert: Durch amerikanische Soldaten, die Hundestaffel, die äußeren Wachen am Zaun des Lagers.Ihn wundere, dass jetzt die Bundeswehr selber mit Wachhunden Streife gehen würde, das sei ihm doch gar nicht bekannt. Nein, so Salvatore, er käme von den Friedensaktivisten. Warum er denn eine Bundeswehrjacke anhabe? Aus Solidarität mit den Soldaten. Er sei ja nicht gegen die Bundeswehr, sondern, dass die Atomwaffen hier lagerten.

gegen 12.00 Uhr
Werner Schwarz und Bernd Funke - die hier zusammen mit der Freiwilligen des Versöhnungsbundes aus den USA, Tania Monroy, am Haupttor in Zelten übernachten - kommen von der Wache zurück. An der Wache prangt eine Uhr. Sie waren zum Tor gegangen, an den eisernen Sperranlagen vorbei und eine Wachhabende in Uniform kam auf beide zu. „Entschuldigung“, fragen sie, „wir möchten gerne wissen, ob die Uhr hier richtig geht?“ „Ja, doch“, sagte sie. Einer antwortete: „Gott sei Dank! Dann haben wir ja Glück, es ist ja noch vor Zwölf!“

13.06 Uhr
Eine starke Bö erfasst das Zelt. Wir müssen die Stangen festhalten, damit die Plane nicht reißt.

13.19 Uhr
Ehepaar Minten mitsamt Nora von Airport Hannover fahren wieder zurück nach Nettetal-Lobberich.

18.43 Uhr
Ein Herr aus der Nachbarschaft fuhr vor und fragte uns frank und frei: „Woher wisst ihr, dass hier wirklich Atomwaffen liegen?“
Das war ein interessantes Gespräch.
Was sind unsere Argumente?

- Es gibt eine amerikanische Spezialeinheit, MUNSS (Munition Surport Squadaron) 702,die überall dort stationiert sind, wo amerikanische Atomwaffen liegen. Diese Einheit ist nachweisbar nach wie vor in Büchel stationiert. An den früheren Atomwaffenstandorten, Nörvenich, Memmingen und Rammstein, wurden sie abgezogen. Es gibt nur einen deutschen Militärstandort an denen sie stationiert sind, Büchel.

- Der amerikanische Friedensforscher Hans  Kristensen veröffentlichte auf Grund von Quellen des amerikanischen Verteidigungsministeriums Informationen über die Lagerung der Atomwaffen in Büchel.

- Der deutsche Bundestag beschloss März 2010, dass die Vereinigten Staaten die Atomwaffen abziehen. Was ist der Sinn solch eines Beschlusses, wenn die Atomwaffen nicht in Deutschland wären? An welchem anderen Ort sollten sie liegen?

-  Elke Koller hat mit einer Bekannten gesprochen, die mit einem amerikanischen Soldaten verheiratet ist, der sich darauf freut, dass er bald nach Hause kommen kann, wenn die Atomwaffen abgezogen werden.

- Beim Prozess von Elke Koller gegen die Deutsche Bundesregierung, 2011, wegen der Gefährdung durch die Lagerung der Atomwaffen in Büchel ist das Gericht davon ausgegangen.

- Zahlreiche ehemaligen Soldaten, mit denen wir gesprochen haben, erzählten uns, dass sie in ihrer Stationierungszeit in Büchel, mit Atomwaffen zu tun hatten.

- Die Tornadopiloten in Büchel üben eine spezielle Technik die Atomwaffen abzuwerfen, damit sie beim Einsatz sich so schnell wie möglich vom Zerstörungsort entfernen können.

- Die Antwort auf die Frage, was für ihn ein Beweis wäre, bleib aus.

- Als Militärpfarrer 1997-2001 sprach ich mit dem damals befehlshabenden General des Jagdbombergeschwaders 33 in Birkenfeld ganz offen über die Existenz der Atomwaffen in Büchel.

- In früheren Gesprächen mit damaligen Commodores wurde über die Atomwaffen in Büchel gesprochen – allerdings ohne dass von ihnen dieses Tabuwort benutzt wurde – und auch darüber, welchen militärischen Sinn diese Waffen haben.

- Ein hochrangiger Soldat erklärte uns bei einem Friedensfrühstück vor einigen Jahren, dass die Zukunft des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel nicht von den Atomwaffen abhängen würde.

- Zur Zeit als Gerhard Schröder Bundeskanzler war, sagte er etwa so: „Was lege ich mich wegen der 20 Eier in Büchel mit den Amerikanern an“.

- Wikileaks-Dokumente weisen auf die Existenz von 20 Atomwaffen in Büchel hin.

- Die Angabe eines ehemaligen, in Büchel stationierten Soldaten  – getan in Duisburg – dass in Büchel definitiv keine Atomwaffen mehr lagern würden, wurde von mir überpüft: Nach Aussagen von Ottfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, BITS, ist es nahezu ausgeschlossen. Dafür sind einige Voraussetzungen nötig, die nach den Quellen über die amerikanische Politik nicht stattgefunden haben.

19.46 Uhr – War Gandhis Fasten erpresserisch? Albert Schweitzer, so informiert uns Martin Arnold, hielt dies Gandhi vor. Martin erzählt ausführlich, wie es dazu kam, dass Gandhi ein dreiwöchiges Fasten hielt. Er wurde ohne ein Verfahren wochenlang inhaftiert und ging mit der Forderung, ein Gerichtsprozess zu erhalten, in das angekündigte Fasten. Er kündigte es in öffentlichen Schreiben an. Er appelliert an die Empfindungen für Wahrheit, Aufrichtigkeit und Menschlichkeit und wehrte sich dagegen, dieses Verhalten als unangemessen entwertet zu sehen.

20.15 Uhr – Wir feiern die Andacht mit fünf weiteren Namen der Atombombenopfer. Ich gebe kurz eine weitere Geschichte wieder, die vom Standhalten erzählt: Als Jesus, in einer zu einer bildhaften Geschichte verdichteten Erfahrung nach Matthäus, vor die Wahl gestellt wird, Herr über ein Weltreich zu werden – wäre das nicht die Weltregierung mit einer guten Herrschaft? – ,wenn er den Teufel dafür anbetet. Jesus widerspricht mit dem Hinweis auf das erste Gebot. Damit wird deutlich, dass das erste Gebot: „Bete keinen anderen an als Gott allein“, eminent politisch ist: Das Vertrauen nicht in eine „gute Herrschaft“ zu setzen, sondern in die Kraft der Liebe und Wahrheit. Vielleicht braucht es noch eine Zeit, damit auch vom Sprachgefühl her allgemeinverständlich wird, dass „gute Herrschaft“ ein Oxymoron ist wie „trockenes Wasser“ oder „grade Kurve“.



7. August, Dienstag – im Laufe des Tages beginnt heute mein fünfter Fastentag
Rede an die Stummen Fische

6.00 Uhr - stehe ziemlich allein an der Einfahrt, keiner ist mit mir aufgestanden und verteile unsere Kärtchen mit einer Merci-Schokolade und der Aufschrift „Werde schwach: Zeige Stärke im Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen“ plus den Karten mit Namen der Hiroshima-Bombenopfern. Heute nehmen weniger als gestern einen Gruß an. Es kommen aber auch weniger Fahrzeuge? Als nach einiger Zeit Beate mit dem Wagen kommt, fahren wir schnell rüber zum benachbarten Lutzerrather-Tor, den anderen Eingang: Dort ist keine Autoschlange, paar Fahrzeuge fahren rein und für jedes einzelne wird das Tor aufgemacht. Also schnell wieder zurück: Da kommt der große Schwung. Die heute etwas nehmen sind auch wieder ausgesprochen freundlich. Keine abfälligen Gesten.
Ein Herr, der vor Jahren bei der Militärpolizei gearbeitet hat und sich heute zu einem Besuchstermin im Fliegerhorst angemeldet hat, kommt, nachdem er seinen Wagen wenig entfernt geparkt hatte, per pedes vorbei und meint, dass er gegen den Einsatz von Atomwaffen wäre, aber nicht gegen den Einsatz von konventionellen Waffen. Man könne sich auch als Einzelner zu einem Besuch anmelden, wenn man sich einer Gruppe anschließt. Heute kommt so eine  Gruppe. Eigentlich keine schlechte Idee, sich auch solch einer Gruppe anzuschließen?!

Wenn es im nächsten Jahr wieder nötig sein wird: Dann jeden Tag etwas anderes verteilen, wenigstens in den Tagen zwischen dem Hiroshima- und Nagasaki-Gedenktag: Ein Flugblatt – solch eine kleine Geste wie heute – eine Rose – und zum Schluss ein Formular wie eine einwandfreie juristisch abgesicherte Formulierung aussieht, in der ein Soldat erklärt, dass er die Hände von den Atomwaffen lassen will? Vorarbeiten aus den letzten Jahren gibt es dazu bereits.

16.00 Uhr „Rede an die Stummen Fische“ – real-absurdes Theater: Gehalten von der Cochemer Brücke aus. Die Vernunft und die Menschlichkeit flüchten sich ins Absurde um angesichts des Untragbaren noch überleben zu können: Zu siebt haben wir das Sprechstück über den Fischen, in der Hälfte der Brücke, uraufgeführt; im Anschluss am Brückenansatz zu den Gästen in den Cafés und den Touristen am Brunnen. Ein paar blieben unten stehen um zuzuhören. Eine Dame aus der Region kam extra wegen der Ankündigung in der Zeitung. Sind wir nah dran an der prophetischen Situation von Jesaja (6,9f): „Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet's nicht, sehet und merket's nicht!  10 Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“

Wenns klappt stell ich die „Rede an die Stummen Fische“ zum Herunterladen und vielleicht ja auch für eigene Aufführungen – bitte dabei die Quelle angeben! –  ins Netz.

20.15 Uhr Abendandacht
Wenige Wochen vor der Fastenaktion erhielt ich von Martin Arnold eine Thesenreihe von Heinrich Vogel zu den Atomwaffen, veröffentlicht in der Friedensrundschau 1959. Die Friedensrundschau wurde damals auch vom Versöhnungsbund herausgegeben.
Heinrich Vogel, geboren 1902 in Pröttlin, gestorben 1989 in Berlin, war evangelischer Theologe, der – auch Versöhnungsbundmitglied – wesentlich dabei mitgewirkt hat, Aktion Sühnezeichen zu begründen.

In seinen 60 Thesen formuliert er Probleme in der christlichen und ethischen Beurteilung der Atomwaffen, die bis heute frappierend sind. Jeden Abend lese ich zwei seiner Thesen.
Dies ist die Auswahl:

für Freitag, den 3.8.2012
Thesen 1 und 3:
(1) Den Menschen, den Gott so geliebt hat, wie es das Evangelium von Jesus Christus uns sagt, als Objekt von Massenvernichtungsmitteln auch nur denken zu wollen, ist Sünde.
(3) Die Massenvernichtungsmittel sind nicht nur ein selbstmörderischer Bumerang, sondern Mittel des Massenmordes und somit der Sünde.

- Es ist verblüffend, dass der Zusammenhang von Atomwaffen und Massenmord ganz außer Gebrauch geraten ist.

für Samstag, den 4.8.
Thesen 7 und 16
(7) Es gibt keinen denkbaren Zweck, durch den die Massenvernichtungsmittel, ihre Herstellung, Erprobung und Anwendung gerechtfertigt werden könnten.
(16) Die Massenvernichtungsmittel sind Vehikel des Dämonischen, weil sie ihrem Wesen nach nur unter unmenschlichem Zweck gedacht werden können.

für Sonntag, den 5.8.
Thesen 17 und 18
(17) Der Massenmord, den die Massenvernichtungsmittel intendieren, ist nicht nur eine Vernichtung des physischen Lebens der davon Betroffenen, sondern Seelenmord an denen, die sich in den Dienst an diesem Massenmord stellen lassen.
(18) Wenn ich mich selbst vor dem Angesichte Gottes nicht als den Menschen denken darf, der eine Atombombe konstruierte, ihren Abwurf befähle oder sie abwürfe, so darf ich auch keinen anderen als diesen Menschen denken.

für Montag, den 6.8.
Thesen 20 und 25
(20) Die Indienstnahme von Massenvernichtungsmitteln zur Abschreckung, um das Böse zu verhindern und einen Krieg unmöglich zu machen, entspringt dem Wahn, als ob man die Sünde mit einer Sünde und den Teufel mit einer Teufelei bekämpfen könne.
(21) Die Meinung, dass die Massenvernichtungsmittel wegen ihrer mörderisch-selbstmörderischen Furchtbarkeit nie angewandt werden würden, basiert auf dem Wahn, dass der Mensch vernünftig und gut ist.

- Auch hier waren wir erschrocken darüber, wie einfach diese Argumentation und immer noch nötig ist; ich würde zur These 21 sagen, „Wahn, dass der Mensch immer vernünftig und fehlerfrei ist.“

für Dienstag, den 7.8.
Thesen 28 und 30
(28) Die quantitativen Unterschiede zwischen kleinen, größeren und größten Atombomben können und dürfen die radikale und totale Verwerfung nicht in Frage stellen, zu der wir gegenüber einem mit atomaren Waffen geführten Krieg gefordert sind.
(30) Der Staat, der für Recht und Frieden zu sorgen und in Förderung des Guten wie in Abwehr des Bösen der Erhaltung des menschlichen Lebens in menschlicher Gemeinschaft zu dienen hat, zerstört sich selbst, wenn er sich der Massenvernichtungsmittel bedient.

- Hier kamen wir darüber ins Gespräch, wie zutreffend diese These ist, auch bezogen z. B. auf die USA, Deutschland und jetzt aktuell Israel. Die enormen Kosten, die Umweltprobleme, die verhinderten gesellschaftlichen Entwicklungen – alles das hat seinen Preis.

- Die These 28 ist nach wie vor aktuell in Bezug auf die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffen, wenn sie denn verniedlicht werden, als „kleine Bomben“.

Für Morgen, den 9.8., sind folgende Thesen vorgesehen:
Thesen 31 und 45
(31) Die Massenvernichtungsmittel liefern die Demokratie an die Diktatur der wenigen aus, die im Ernstfall über ihre Anwendung entscheiden.
(45) Die bloße Möglichkeit, dass der Mensch am Menschen das tun kann, was die Massenvernichtungsmittel (und andere Mittel moderner, technischer Psychologie und Biologie) in sich beschließen, ist eine radikale Bedrohung der Menschlichkeit des Menschen, auch wenn diese Möglichkeit nie Wirklichkeit würde.

- Ich muss erschrocken feststellen: Auf das Diktatur-Argument (31) bin ich meines Erinnerns nach noch nie vorher gestoßen. Es ist so verblüffend einfach, dass ich mich wundere, wie wenig es bislang beachtet wurde! Das ist für mich eine ganz besondere Entdeckung.

20.44 Uhr Bei der Abendandacht waren wir wieder ein kleinerer Kreis. Joachim Willmann hatte sich in Cochem verabschiedet, wenig später auch Martin Arnold und Mirjam Mahler mit ihren Kindern. Sie hatten mit Kreide herrliche Bilder am Kreisverkehr auf den Fahrradweg gemalt: Frieden! stand da, und Atombomben waren durchgekreuzt.

22.23 Wir stehen vor dem Versammlungszelt und Bernd erzählt aus seiner Zeit als Sanitäter, das war 1963: Es sollte ein schwerverletzter Soldat mit Verdacht auf Schädelbasisbruch nach Mitternacht aus einem Ortskrankenhaus in die Kaserne verbracht werden, so der Befehl des Vorgesetzten. Die Sanitäter hatten damals einen Rot-Kreuz-Onimog der Bundeswehr, laut und hart gefedert. Die Transportfähigkeit des Verletzten wurde in Frage gestellt. Der Oberarzt gab ihn für den Transport frei. Der Verletzte wurde in den Onimog getragen, der Fahrer fuhr los, aber am Anfang viel zu schnell. Sie fuhren sehr langsam und trotzdem schwankte der Onimog hin und her. Der Verletzte, so stellten sie fest, war schon nicht mehr ansprechbar. Für die Strecke, die sonst in 30 Minuten zurückgelegt wird, brauchten sie jetzt zwei Stunden. Die Polizei wurde auf sie aufmerksam, warum sie so im Schneckentempo führen und gaben ihnen Geleitschutz. Sie kamen an, der Verletzte wurde  ins Sanitätskrankenhaus einquartiert. Am Morgen hieß es: Er ist tot.
Kaum hatte Bernd dies erzählt, bretterte ein Rot-Kreuz-Kleinlaster aus dem Atomwaffenlager – es war ein alter Onimog.

8. August 2012, Mittwoch – Heute beginnt mein letzter Fastentag

7.38 Uhr – Das Wetter meint es gut mit uns. Wenn es auch tagsüber geregnet hat und wir ein Gewitter erlebten, wenn ich morgens vor der Einfahrt stehe und die Glücksbringer vereile, hat’s bislang nicht geregnet. Wenn kein Auto komme, niemand da ist, rede ich mit den Bäumen und Büschen und bedenke, was wir Menschen – und ich auch – ihnen nicht alles schon zugemutet haben.

Am Montag sind wohl so viele ins Atomwaffenlager gefahren, weil sie die Tage über dort Quartier haben. Die, die die Woche über ein- und ausfahren, fahren täglich zur Arbeit, manche Nummernschilder zeigen aber auf Orte hin, die nicht gerade in der Nachbarschaft liegen: Duisburg, Stuttgart, Mönchengladbach, Güstrow - ?!


Auch heute wurden wieder fünf oder sechs der kleinen Grüße angenommen. Zum ersten Mal von einem Flieger. Gegen 6.10 Uhr fing ich diesmal an, und ging – es kam kein Auto – auf einen Herrn zu, der zuvor seinen Wagen in der Nähe geparkt hatte und nun unweit einer Bushaltestelle mit seinem Aktenkoffer wartete: „Sie bilden eine Fahrgemeinschaft?“, fragte ich ihn. „Guten Morgen, Herr Engelke, so ist es!“ „Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor!“ „Ich war hier der stellvertretende Commodore.“ Er arbeitet jetzt im Bonner Bundesverteidigungsministerium. Meinen kleinen Gruß mitsamt der Karte mit dem Namen eines der Hiroshimaopfer nahm er nicht an. „Sie sind hier immer noch zu Gange?“, fragte er. „Was bleibt mir anderes übrig, solange die Atomwaffen hier noch liegen. Atomwaffen sind Massenvernichtungsmittel, Mittel für Massenmord. Da kann man doch nicht tatenlos zusehen.“ – die Thesen von Heinrich Vogel wirken -  „Das kann man so sehen“, meinte er. „Ich weiß nicht, ob das eine Frage der Einstellung ist, ist es nicht eine Frage der Menschlichkeit? Ich habe nicht nur an den Commodore geschrieben sondern auch an Frau Merkel, dass diese Unmenschlichkeit, für die die Politiker verantwortlich sind und die den Soldaten zugemutet wird, aufhört.“ Da kam sein Fahrerkollege und stieg mit kurzem Abschiedsgruß ein.

Als ich zu verteilen anfing, kam erst einmal kein Auto. Ich wollte mir noch meine Sachen zurechtlegen, da hörte ich das erste Fahrgeräusch. „Es ist wie immer in den letzten Jahren“, dachte ich, „du hast noch nicht mal Ruhe für eine Kleinigkeit! Kaum ist eine kleinen Pause, um mir ein Taschentuch hervor zu kramen, da kommt ein Auto!“ Wirklich nett von meiner Nase, dass sie so gut mitspielt.

Werner und Bernd sind heute auch früh auf. „Das tut gut“, meine ich. Sie hängen die Banner und Transparente auf: „Fasten für eine atomwaffenfreie Welt“, das  Versöhnungsbundtranspartent, „Abschalten und Abrüsten“: Atomkraftwerke und Atomwaffen. Das Pax-Christi Banner blieb schon die zweite Nacht über unbehelligt hängen.

13.24 Uhr Der Commodore des Jagdbombergeschwadres, Herr Korb und sein Begleiter, Herr Rühle, fahren vor. Das ist das erste Mal, dass ein Commodore uns aus freien Stücken besucht. Letztes Jahr kam Herr Korb auch – das war am ersten Tag – nachdem unsere Zelte zerstört worden waren und er sich selbst davon überzeugen wollte, was hier passiert war.
Er fragte ob alles in Ordnung sei und dass es ja wohl blendend liefe. „Es würde noch besser laufen“, antwortete ich, „wenn Sie und die Soldaten hier erklären würden, sie würden die Hände von den Atomwaffen lassen.“ Ich ergänzte: „Aus den hiesigen Gesprächen ist die Idee entstanden, dass ich zumindest überlege, im nächsten Jahr mit dem Fasten in Berlin anzufangen. Denn die Politiker sind die Hauptverantwortlichen für die Atomwaffen in Deutschland.“ „Mir wär’s ja recht, wenn sie überall woanders fasten würden!“, so Herr Korb. „Würde ich ja auch, wenn woanders in Deutschland auch Atomwaffen lägen.“

18.07 Uhr Martin Otto erzählte, nachdem ich vom Besuch von einem Bauern zurückkomme, dass ein Radfahrer aus Brauheck hier gewesen sei; er sei auch gegen Atomwaffen. Er käme extra wegen uns vorbei und erkundigte sich auch über die Aktionen in der Vergangenheit z. B. die in Brauheck, das Verwaltungszentrum des Jagdbombergeschwaders, mit den Rosen, 2009.