Aktion Blickwechsel im Ost / West-Konflikt

Gespeichert von Rudi am

für eine neue Entspannungspolitik!

Die Krise um die Ukraine hat sich wochenlang zugespitzt, die Zeichen stehen auf Eskalation bis hin zum Krieg. Es wird scharf geschossen, mit russischen und mit NATO- Waffen, trotz der Deeskalationsbemühungen der OSZE. Die Schuld wird der jeweiligen Gegenseite zugeschoben: Schlechte Voraussetzungen für eine Deeskalation.

Der Frieden braucht das gegenseitige Verstehen; und das Verstehen von Interessen der Konfliktparteien: Die USA wie auch Russland möchten ihre Exporte nach Europa ausweiten, sehen sich aber im Rohstoffsektor als Konkurrenten. Nun denkt Europa aber "westlich" – und so schauen wir meist durch die Brille der USA. Deshalb suchen wir hier, die eigene Blase zu verlassen und die Geschichte unabhängig zu betrachten: Wir erinnern uns unserer unterschiedlichen Erfahrungen:

AKTION BLICKWECHSEL: Wir laden dazu ein, an der Weitung des Blickes, an der Information über die verschiedenen Sichtweisen auf den Ost-West-Konflikt mitzuwirken – und sich auch mit der NATO-Politik kritisch auseinanderzusetzen. Deshalb bitten wir darum, die folgende Gegenüberstellung von geschichtlichen Fakten insbesondere an Menschen, die sich nicht zur Friedensbewegung zählen, weiterzugeben und zu diskutieren. Politiker*innen sollten um eine Stellungnahme gebeten werden.

Ab 1941 hat das nationalsozialistische Deutschland Russland mit einem Krieg überzogen – mit einem Vernichtungskrieg und der Politik der verbrannten Erde, mit 24 Millionen Kriegsopfern in Russland.

1945 haben brutalisierte russische Soldaten großen Schrecken unter der deutschen Bevölkerung verbreitet – doch gemeinsam mit den westlichen Alliierten haben sie Deutschland vom Faschismus befreit. In vielen Familien blieb das Bild der "unberechenbaren Russen" aber unvergessen.

Ab 1947 wird der Westen Europas einschliesslich der westlichen Besatzungszonen in Deutschland durch den Marschallplan wirtschaftlich mit den USA verbunden. Die Adenauerregierung betreibt die Westanbindung in dem Wissen, damit eine unterschiedliche Entwicklung zwischen West- und Ostdeutschland zu befördern. 1949 wird die NATO unter Führung der USA gegründet.

Die UdSSR baut in Ostdeutschland viele Industrieanlagen ab, um das eigene Land wieder aufzubauen. Sie gründet 1947 den Rat für gegenseitige Wirtschafthilfe COMECON, und 1955 den Warschauer Pakt.

In der Situation wirtschaftlicher Spaltung  wird im Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet, die sich ab 1950  schrittweise remilitarisiert.

Entsprechend gründet sich im Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die 1956 ebenfalls Militäreinheiten aufstellt. Gegen die Flucht vieler DDR-Bürger*innen in den reicheren Westen baut die DDR 1961 die Mauer, die auch Berlin teilt.

In der Situation von Blockkonfrontation und "Kaltem Krieg" startet die SPD-Regierung unter Willy Brandt 1969 die Entspannungspolitik mit dem Gewaltverzichtsvertrag gegenüber der UdSSR und der Anerkennung der Grenzen von BRD, DDR und Polen 1970.

BlickwechselDie DDR ermöglicht 1972 das Transitverkehrsabkommen und den Abschluss des Grundlagenvertrages mit der Eröffnung ständiger diplomatischer Vertretungen. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Helsinki trägt ab 1973 zu weiterer Annäherung bei. Sie wird 1995 als Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) institutionalisiert.

Die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen, die 1979 von der NATO beschlossen wird – mit Hinweis auf die russischen SS 20 Raketen –, droht die Entspannungspolitik zu torpedieren, sie trifft in der Bundesrepublik aber auf starken Widerstand der Friedensbewegung. Die Pershing II werden 1983 in Mutlangen stationiert, aber nach Abschluss des INF-Vertrages 1987 wieder abgezogen.

In der UdSSR startet der 1986 gewählte Generalsekretär der KP Gorbatschow die Umgestaltung (Perestroika) der UdSSR, die 1989 den Fall der Berliner Mauer ermöglicht. Gewaltfreie Unabhängigkeitsbewegungen setzen in mehreren Sowjetrepubliken eine Abspaltung von der UdSSR durch, die sich 1991 auflöst. Gorbatschow spricht vom "gemeinsamen Haus Europa".

1990 wird nach den "2+4-Gesprächen" (BRD und DDR + USA, England, Frankreich, Russland) die Wiedervereinigung Deutschlands möglich. Die Westmächte sagen mündlich zu, dass sich die NATO "nicht ein Zoll in östlicher Richtung ausdehnen wird"

"Wesentlich für die Behauptung einer Zusage an die Sowjetunion sind Gespräche im Februar 1990 zwischen dem damaligen US-Außenminister James Baker und Staatschef Michail Gorbatschow. Einem Memorandum zufolge sagte Baker damals: Die Amerikaner hätten verstanden, dass für die Sowjetunion und andere europäische Länder Garantien wichtig seien für den Fall, dass die USA ihre Präsenz in Deutschland im Rahmen der NATO beibehalten würden, 'sich die gegenwärtige Militärhoheit der NATO nicht ein Zoll in östlicher Richtung ausdehnen wird'." Silvia Stöber, tagesschau.de vom 3.12.21 (https://www.tagesschau.de/faktenfinder/nato-erweiterung-mittel-ost-europa-101.html)

In Deutschland wird eine "Friedensdividende" durch Abschmelzen des Rüstungshaushalts erhofft, der Rückbau der Militärkapazitäten wird jedoch nur unzureichend umgesetzt.

1991 werden mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien weitere Unabhängigkeitsbestrebungen auf dem Balkan bestärkt. Es kommt zu verschiedenen Bürgerkriegen mit Gräueltaten bis hin zu "ethnischen Säuberungen".

1999 greift die NATO in den Bürgerkrieg der UCK-Miliz gegen serbische Soldaten im Kosovo ein. Der Krieg der NATO gegen Serbien ist der erste echte Krieg in Europa seit 1945, der zudem völkerrechtswidrig ohne UN- Mandat begonnen wird. Die Proteste Russlands werden übergangen. Eine ständige Militärbasis der USA wird im Kosovo aufgebaut. Seit 1999 verhärtet sich das Verhältnis zwischen Ost und West wieder massiv.

1991 wird Boris Jelzin zum ersten russischen Präsidenten gewählt. Er versucht, die territoriale Integrität seines Landes mit militärischen Mitteln zu halten. So führt er ab 1994 den Tschetschenienkrieg als verheerenden Bürgerkrieg gegen islamistische Unabhängigkeitsbestrebungen.

1999 werden Polen, Tschechien und Ungarn in die NATO aufgenommen. Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien folgen 2004

https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung#NATO-Beitritte

Auf Boris Jelzin folgt im Jahr 2000 Wladimir Putin, der eine erneute Stärkung Russlands durch neue Aufrüstung verfolgt.

Seit 2002 werden US-Militärausbilder nach Georgien entsandt, das 1991 mit der Auflösung der UdSSR unabhängig geworden ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Außenpolitik_Georgiens

Dort kommt es 2003 mit der gewaltfreien Rosenrevolution zu einem Regimewechsel. Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 wird Georgien und der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft zugesagt, entgegen der Warnung Wladimir Putins im Vorjahr in München.

2008 unterstützt Russland durch eine Invasion in der Region Südossetien die dortigen Separationsbestrebungen von Georgien – was bedeutet, dass es als nicht geeintes Land kein NATO-Mitglied werden kann.

Die Ukraine, aus deren eher russischsprachigen östlichen Landesteilen enge Beziehungen zu Moskau bestehen, wird nach vielen politischen Machtkämpfen ebenfalls zum Bürgerkriegsland: Die Donbass-Region wehrt sich gegen die neue Westorientierung des Landes. Sie wird  von Russland in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen mit Waffen und Kämpfern unterstützt.

Im Februar 2014 besetzt Russland die Krim und annektiert sie nach einer international nicht anerkannten Volksabstimmung. Es sichert sich so den Heimathafen seiner Schwarzmeerflotte.  Gleichzeitig liefern die USA und andere westliche Länder Waffen und Berater in die Ukraine.

Ab 2016 wird die USA durch das Fracking zum Gasexporteur. Die US-Regierung wird 2017 durch ein Gesetz verpflichtet, sich dem Bau der Ostsee-Pipeline zu widersetzen und statt dessen den Export amerikanischen Erdgases – tiefgekühlt mithilfe von Spezialtankern – nach Europa voranzutreiben.

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Gasversorgung-Wie-die-USA-Deutschland-bedraengen,nordstream322.html

2019 beenden die USA den INF-Vertrag über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen. 2020 steigen sie aus dem Open Skies-Abkommen aus, das seit 1992 der NATO und Russland Beobachtungsflüge auf der jeweils anderen Seite gewährleistete.

Russland zieht 2021 nach.

Im Oktober 2021 weist die NATO acht Diplomaten aus der russischen Vertretung beim Bündnis aus, daraufhin stellt Russland die Arbeit seiner Vertretung insgesamt ein.

2021 findet das NATO Großmanöver „Defender-Europe 2021“ unter Beteiligung von 31.000 Soldat*innen statt. Dabei werden starke Einheiten auch in die baltischen Staaten gebracht – deutsche Panzer stehen 600 km von Moskau entfernt. Bei einem NATO-Mannöver im Schwarzen Meer kommt es zu Konflikten mit russischen Schiffen. Russland protestiert scharf gegen die Manöver.

Erstmals setzt die Ukraine mit einer türkischen Drohne eine den Milizen im Donbass klar überlegene Waffe ein.

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kampfdrohnen-tuerkei-hensoldt-100.html

Russland führt lang andauernde Großmanöver an seiner Grenze zur Ukraine durch, sie warnt vor "Provokationen" im Bürgerkrieg in der Ukraine. Die NATO protestiert scharf gegen die Manöver.

2022: Die Ukraine befürchtet eine Invasion im Osten des Landes und verlangt neue und stärkere Waffen von der NATO; Menschen im Donbass befürchten, dass solche Waffen zum Bruch der Waffenstillstandsvereinbarungen gebraucht werden könnten.


"Wir alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhms ..." beginnt das Versöhnungsgebet von Coventry, das als Lehre aus den Zerstörungen des 2. Weltkrieges die Schuld von Hass, Besitzgier und mangelndem Mitgefühl an der Not der Heimtlosen bekennt – und das dann um Vergebung, Neuanfang und Frieden bittet.

Sind wir bereit für Neuanfang und Frieden?

Können wir die Bemühungen von Willy Brandt und Michael Gorbatschow wieder aufnehmen?

Blickwechsel

 

 

 

 

Text:  Berthold Keunecke, (mit Dank an viele Freunde, die Verbesserungsvorschläge geschickt haben!)