2 Artikel von Andreas Zumach: "NATO-Osterweiterung" und "Russland, die Ukraine und der Westen" / Aufruf zur Verbesserung der Beziehungen zu Russland / IPNNW-Aufruf / AVV-Aktionen am 22.1.2022

Gespeichert von Webmaster am

Liebe Friedensinteressierte

mit freundlicher Genehmigung des Autors Andreas Zumach sende ich in meinem heutigen Newsletter zwei Artikel von ihm: 1. NATO-Osterweiterung

2. Russland, die Ukraine und der Westen

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator in Berlin, von 1988- 2020 UNO-Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten.

Der „Extradienst“ wird herausgegeben von Martin Böttger, 2006-2016 Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Rat der Stadt Bonn.

https://extradienst.net/2022/01/19/nato-osterweiterung/ NATO-Osterweiterung

19. Januar 2022

Andreas Zumach Wer wem wann was in den 1990er Jahren versprach,

und warum diese Frage bis heute relevant ist

Am 6. Dezember 2021, dem Tag vor der Videokonferenz zwischen den Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Joe Biden, hatte ich in einem Kommentar in der „tageszeitung“ (taz) unter der Überschrift „Beide Seiten müssen deeskalieren“ geschrieben:

„Entgegen dem im Westen weitverbreiteten Narrativ begann die Verschlechterung der Beziehungen nicht erst mit Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim im März 2014, sondern bereits mit der NATO-Osterweiterung, die ab 1996 vollzogen wurde. (…)

In einer ausführlichen Mail reagierte ein von mir sehr geschätzter Journalistenkollege und ehemaliger Chefredakteur der taz. Nachfolgend meine ausführliche Antwort.

(…)

Für mich gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, daß – so wie ich es in meinem Kommentar geschrieben habe – US-Aussenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Aussenminister Hans-Dietrich Genscher bei ihren Moskauer Gesprächen mit Michail Gorbatschow und Eduard Schewardnadse am 8./9. und 10. Februar 1990 das Versprechen gegeben haben, die NATO nicht nach Osten zu erweitern.

Entsprechend haben sich damals auch andere Regierungsmitglieder und Diplomaten der USA, der Bundesrepublik Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens sowie der damalige NATO-Generalsekretär Wörner geäußert – sowohl gegenüber der Regierung in Moskau, wie gegenüber Regierungen ost/mitteleuropäischer Staaten wie Polen und der CSSR als auch öffentlich. Dafür gibt es zahlreiche Belege und Zeugen. Die wichtigsten:

1) Von der Geheimhaltung freigegebene Dokumente des National Security Archive der USA

Beschrieben in einem Artikel unter der Überschrift „NATO-Expansion: Who promised what to Whom“

Teil 1: „What Gorbatschow heard western leaders say“

Teil 2: „What Yeltsin heard“

Dieser 2. Teil behandelt die Zeit der Jelzin-Regierung ab 1991. Aus den Dokumenten wird deutlich, wie Jelzin und seine Regierung von der damaligen US-Administrationen von George Bush und Bill Clinton im Unklaren gelassen oder gar vorsätzlich in die Irre geführt wurde über die damaligen Absichten mit Blick auf eine Erweiterung der NATO.

2) Von der Geheimhaltung freigegebene Dokumente des Auswärtigen Amtes in Bonn, zitiert in dem SPIEGEL-Artikel „Absurde Vorstellung“ vom 22.11.2009.

3) Die Äußerungen Genschers in einem Vortrag in der Akademie Tutzing vom 31.Januar 1990

„Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht und einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen.“

Genschers Äußerung vor den Medien nach seinem Treffen mit US-Aussenminister James Baker am 2. Februar 1990 in Washington: „Wir waren uns einig, daß nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir gar nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.“ Dokumentiert u.a. im „Weltspiegel“ des ARD-Fernsehens.

4) Die Erinnerungen des ehemaligen US-Diplomaten William Burns, sowie die Erkenntnisse der US-Historikerin Mary Elise Sarotte. Beides zusammengefaßt in einer Bücherbesprechung von Klaus von Dohnanyi in der ZEIT vom 18. Juni 2019.

(…)

Ich käme auch ohne die unter 1-4 genannten Belege und Zeugen aus und bin seit 32 Jahren der Überzeugung, daß es die von mir beschriebenen Zusagen vom Februar 1990 gegeben hat. Denn

1) Bin ich am 11. Februar 1990 alleine mit zwei weiteren Journalisten und Genscher unmittelbar nach seiner (und Kohls) Rückkehr aus Moskau in seinem Regierungsflugzeug von Köln/Bonn zur KSZE-Außenministerkonferenz „Open Skies“ nach Ottawa geflogen. Genscher hat uns während des Fluges im Detail und hochbeglückt über seine Gespräche in Moskau berichtet, und dabei auch mehrfach ausdrücklich seine und Kohls Zusage betont, daß das Territorium der DDR zwar als künftiger Teil des vereinten Deutschlands politisch zur NATO gehören solle, aber ohne Truppen und militärische Strukturen der Allianz, und daß die NATO nicht um neue Mitglieder aus Osteuropa erweitert werden solle.

Baker habe für die USA dieselbe Zusagen gemacht. Ich habe das damals für so selbstverständlich und auch richtig gehalten, daß ich diese Zusagen in meinem taz-Artikel über dieses Gespräch mit Genscher gar nicht erwähnt habe.

2) Hat mir auf der Pariser KSZE-Gipfelkonferenz vom 19.-21. November 1990 Jiri Dienstbier, der damalige Aussenminister der CSSR, ausführlich berichtet, daß die Regierung Kohl/Genscher der Regierung von Vaclav Havel von diesen Zusagen unterrichtet habe. Dienstbier (und nach seiner Darstellung damals auch Havel, der später seine Haltung änderte) setzte alle Hoffnung auf das von Gorbatschow vorgeschlagene „Gemeinsame Haus Europa“ im institutionellen Rahmen der KSZE, deren politische, finanzielle und logistische Stärkung in Paris in den Reden ausnahmslos aller 35 Staats-und Regierungschefs (Kohl: “Die KSZE muß das Herzstück der europäischen Architektur werden“) sowie im Abschlußdokument („Charta für ein neues Europa“) gefordert und versprochen wurde.

“In einem solchen kollektiven Sicherheitssystem wären auch die ost- und mitteleuropäischen Staaten mit ihren historisch begründeten Bedrohungswahrnehmungen gegenüber dem großen Nachbarn gut aufgehoben“, meinte Dienstbier damals mir gegenüber.

In der öffentlichen Debatte ist heute immer wieder zu hören (u.a. von Wolfgang Ischinger, scheidender Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und von 1982-2008 in führenden Positionen im Auswärtigen Amt sowie als Botschafter in Washington und London tätig), die Sowjetunion/Russland habe der Aufnahme osteuropäischer Staaten in den 1990er Jahren „ausdrücklich zugestimmt“, bzw. diese Ausnahme sei mit der Regierung in Moskau „vereinbart worden“. Diese Behauptungen verweisen dann auf

-das 2+4-Abkommen über die Vereinigung Deutschlands vom 12. September 1990

und/oder

-die auf der Pariser KSZE-Gipfelkonferenz vom 19.-21 November 1990 verabschiedete „Charta für ein neues Europa“

und/oder

– die NATO-Russland-Grundakte vom 27. Mai 1997

Derlei Behauptungen sind zumindest unseriös. Denn tatsächlich findet sich in keinem dieser drei Abkommen eine „ausdrückliche Zustimmung“ Moskaus oder eine entsprechende „Vereinbarung“. Begriffe wie „NATO-Mitgliedschaft“, „NATO-Erweiterung“ o.ä kommen in diesen Abkommen überhaupt nicht vor. Es gibt lediglich Formulierungen in zwei der drei Abkommen, die allenfalls die Interpretation zulassen, Moskau habe das Recht des Beitritts von Staaten zur NATO anerkannt.

In der Charta von Paris heißt es:

„Nun, da die Teilung Europas zu Ende geht, werden wir unter uneingeschränkter gegenseitiger Achtung der Entscheidungsfreiheit eine neue Qualität in unseren Sicherheitsbeziehungen anstreben. Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden….

Die beispiellose Reduzierung der Streitkräfte durch den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa wird – gemeinsam mit neuen Ansätzen für Sicherheit und Zusammenarbeit innerhalb des KSZE-Prozesses – unser Verständnis von Sicherheit in Europa verändern und unseren Beziehungen eine neue Dimension verleihen. In diesem Zusammenhang bekennen wir uns zum Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“

„Zur Verwirklichung der Ziele dieser Akte verpflichten sich die NATO und Russland gemeinsam dazu, ihre Beziehungen an folgenden Grundsätzen auszurichten:

Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es in der Schlussakte von Helsinki und anderen OSZE-Dokumenten verankert ist, selbst zu wählen“.

Im Weiteren füge ich meine Kommentare in den Text Deiner Mail (Anm: von C. Ronnefeldt: Auszüge des ehemaliger Chefredakteurs der taz in kursiver Schrift) in fetter Kursivschrift ein:

Aber unabhängig davon, ob es ein Versprechen gegeben hat oder nicht, und worauf sich dieses Versprechen bezog, stellt sich doch die Frage, welchen Wert ein nicht schriftlich in einem Vertrag kodifiziertes Versprechen überhaupt hat. Drei Männer geben einem vierten Mann mündlich ein Versprechen und danach ist das Hindernis überwunden, ist die Sache geritzt und Deutschland kann wiedervereinigt werden.

Es war allerdings ein großer handwerklicher Fehler, daß sich Gorbatschow und Schewardnadse die im Februar 1990 gemachten Zusagen nicht schriftlich geben ließen. Ich kann mir das nur so erklären, daß insbesondere Gorbatschow in dieser historischen Stunde des Zusammenbruchs der 45 Jahre alten Blockkonfrontation und der damit verbundenen Erleichterung so überzeugt war von seiner positiven Alternative „Gemeinsames Haus Europa“ im Rahmen der KSZE, daß er annahm, die westlichen Akteure würden genauso denken/fühlen. Das kann man als naiv kritisieren. (Ich bekenne mich auch zu dieser Naivität. Bis zur Pariser KSZE-Konferenz im November 1990 hatte ich auch den Eindruck, daß die westlichen Regierungen tatsächlich zu dieser Option „Gemeinsames Haus Europa“ bereit waren). Und Gorbatschows Versäumnis, sich Zusagen schriftlich geben zu lassen, ist überhaupt kein Argument dagegen, daß diese Option die bessere gewesen wäre – und nach wie vor ist. (…)

Mit welcher Legitimation können denn die drei westlichen Männer für die Nato ein bindendes Versprechen abgeben? Pacta sunt servanda.

Gewiss. Allerdings handelte es sich bei Baker, Kohl und Genscher ja nicht um irgendwen in der NATO, sondern um die Regierungsmitglieder der NATO-Führungsmacht USA und des gewichtigen Mitgliedes BRD. Es gab damals von den anderen NATO-Mitgliedern keinerlei Widerspruch gegen die von Baker, Kohl und Genscher gemachten Zusagen. Niemand drängte auf eine Ausweitung der NATO gen Osten. Ich bin sicher, die USA und die BRD hätten, wenn sie gewollt hätten, einen offiziellen Konsensbeschluß der NATO zum Verzicht auf eine Ostausdehnung herbeiführen können.

Aber weshalb sollten sich z.B. ein sozialdemokratischer Kanzler und eine grüne Außenministerin an ein möglicherweise vor 31 Jahren gegebenen mündliches Versprechen eines christdemokratischen Kanzlers gebunden fühlen? Und ein französischer Präsident? Das gebe ich unabhängig davon, wie man den Konflikt mit Russland entschärfen kann, zu bedenken.

Es geht nicht darum, ob sich jemand heute im formalen Sinn an eine vor 31 Jahren gegeben politische Zusage gebunden fühlt. Und welche Parteien damals in Bonn und heute in Berlin regieren, ist dabei irrelevant. Es geht darum, ob in Berlin, Washington, Paris, London und anderen Hauptstädten endlich die Einsicht wächst, daß die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland eben nicht erst mit den Gewaltkonflikten in der Ukraine ab 2014 begann, sondern daß die ab der 2. Hälfte der 90er Jahre vollzogene Osterweiterung der NATO und dann auch noch die Absichtserklärung des NATO-Gipfels 2008 zur Aufnahme der Ukraine und Georgiens eine wesentliche Vorgeschichte dieser Konflikte sind. Wer die fatale Dynamik der Konfrontationseskalation zwischen Moskau und dem Westen endlich beenden und umkehren will, muß diese Vorgeschichte mit berücksichtigen.

Im übrigen glaube ich auch, dass man Russland in eine europäische Friedensordnung einbeziehen muss. Aber dabei ist doch auch zu bedenken, dass die Nato – anders als der Irak in Kuweit oder Russland in der Krim (beides wäre ja völkerrechtlich eine Legitimation für eine internationale Intervention) – nicht die Souveränität eines andern Staates verletzt hat, sondern sie hat – gewiss aus machtpolitischen Gründen – Staaten in ihr Bündnis aufgenommen, die dies wollten.

Und dabei hat die NATO (zumindest mit Blick auf ihren Gipfelbeschluß zur Ukraine im Jahr 2008) die „legitimen Sicherheitsinteressen“ Russland nicht berücksichtigt. Als Pazifist habe ich mit diesem im Kalten Krieg geprägten Begriff immer sehr schwer getan, weil mit der Berufung auf „legitime Sicherheitsinteressen“ immer auch die Rüstung, Stationierung oder gar der Einsatz von Waffen und Soldaten gemeint waren. Aber wenn eine Seite in einem Konflikt „legitime Sicherheitsinteressen“ für sich reklamiert, dann muß sie diese auch der anderen Seite zugestehen. Natürlich hatten die osteuropäischen Staaten das souveräne Recht, Mitglied der NATO zu werden.

Bei der Bekräftigung dieses Rechts wird in der öffentlichen Diskussion aber fast immer unterschlagen, daß es nach 1989 zumindest kurzfristig eine Alternative gab (KSZE, kollektives Sicherheitssystem mit Russland, siehe oben). Erst als in Warschau, Prag, Budapest und anderen osteuropäischen Hauptstädten klar wurde, daß die westlichen Regierungen diese Alternative nicht ernsthaft wollten, entstand der Sog zur NATO-Mitgliedschaft.

(…)

Zurecht stellt sich doch die Frage, welchen Kurs man einschlagen soll gegenüber Putins Kurs, der darin besteht, die Ukraine – über die recht unverfrorene Annexion der Krim und die anhaltende Schürung eines Krieges im Donbass, der schon Tausende Tote gekostet hat – zu destabilisieren und die EU – im Verein rechter Populisten in Frankreich, Italien und Ungarn – zu spalten. Letzteres mag im übrigen durchaus verständlich und auch legitim sein, wenn man – wie Putin und anders als Jelzin und Gorbatschow – auf eine Blockkonfrontation alten Stils und nicht auf eine europäische Friedensordnung setzt.

Die Krim-Annexion war nicht nur unverfroren, sondern völkerrechtswidrig. Gerade wer die Völkerrechtsverstöße westlicher Staaten in den letzten 30 Jahren völlig zu Recht kritisiert, sollte mit Blick auf die Krim-Annexion keine anderen Maßstäbe anlegen (wie das in Teilen der Linken und der Friedensbewegung leider passiert). Und nichts, was ich zur erklärenden Vorgeschichte dieser Annexion seit der der NATO-Osterweiterung geschrieben habe, soll diese Annexion und auch das Schüren des Konflikts im Donbas in irgendeiner Weise rechtfertigen, verharmlosen oder relativieren.

(…)

Zu Deiner Frage, welchen Kurs man einschlagen soll gegenüber Putins Kurs: Dazu siehe bitte meinen Artikel

„Russland, die Ukraine und der Westen – Wege aus der Eskalation kurzfristig und auf längere Sicht“

Herzliche Grüße

Andreas Zumach

——

Dieser zuletzt genannte Artikel

„Russland, die Ukraine und der Westen – Wege aus der Eskalation kurzfristig und auf längere Sicht“

erschien bei:

https://extradienst.net/2022/01/19/russland-die-ukraine-und-der-westen/

und wird morgen in der Schweizer Wochenzeitung (WoZ), 20.1.2022, veröffentlicht.

Russland, die Ukraine und der Westen

19. Januar 2022 / Andreas Zumach Wege aus der Konfrontation, kurzfristig und auf längere Sicht

Seit vielen Jahren eskalieren die Konflikte zwischen Russland und den 33 westlichen, in NATO und EU zusammengeschlossenen Staaten. Für die aktuelle und seit Ende des Kalten Krieges gefährlichste Zuspitzung, ist zweifelsohne die Regierung von Präsident Putin verantwortlich.

Die massive Konzentration russischer Truppen und schwerer Waffen an den Grenzen zur Ukraine verbunden mit agressiver Rhetorik aus Moskau wird verständlicherweise als Bedrohung wahrgenommen. Nicht nur in Kiew, sondern vor allem auch in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten von NATO und EU.

Russische Politiker und Militärs beteuern zwar immer wieder, man plane „keinen Angriff auf ein Nachbarland“, sondern nehme lediglich „das souveräne Recht zu Militärmanövern auf dem eigenen Territorium“ wahr.

Doch diese Beteuerungen sind angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 und der seitdem anhaltenden militärischen Unterstützung der Sezessionisten im Donbas nicht dazu angetan, die aktuellen Bedrohungsängste zu beruhigen.

Eine Deeskalation der aktuell zugespitzten Lage und die unbedingte Vermeidung kriegerischer Konflikte oberhalb des Niveaus der bisherigen militärischen Auseinandersetzungen im Donbas sollte für alle Beteiligten und politisch Verantwortlichen oberste Priorität haben. Diese dringend notwendige Deeskalation wird kaum möglich sein ohne einen zumindest weitgehenden Abzug der russischen Streitkräfte und Waffen aus den grenznahen Regionen zur Ukraine.

Sollte die Regierung Putin diesen Schritt vollziehen, stehen danach allerdings die westlichen Staaten vor einer kaum weniger großen Herausforderung: sie müßten endlich das falsche westliche Narrativ aufgeben, wonach die Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau erst mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 begonnen habe.

Tatsächlich begann diese Verschlechterung mit der Ostausdehnung der NATO, die seit den 1990er Jahren vollzogen wurde – unter dem Bruch nachweislich gemachter Zusagen an Präsident Michail Gorbatschow sowie unter Irreführung seines Nachfolgers Boris Jelzin.(1)

Die bis dato rein westliche Militärallianz rechtfertigt(e) ihre bisherige sowie künftig geplante Ostausdehnung gerne mit „legitimen Sicherheitsinteressen“ ihrer Mitgliedsstaaten. Damit werden auch die militärischen Manöver der NATO in der Nähe zur russischen Grenze gerechtfertigt, sowie die ständige Stationierung von 7.000 „rotierenden“ NATO-Soldaten in Polen und den drei baltischen Staaten. Russland wird der Anspruch auf „legitime Sicherheitsinteressen“ aber verwehrt.

Zugleich machen sich die westlichen Staaten sehr unglaubwürdig, wenn sie zwar Russlands Bestrebungen zur Ausweitung seiner Einflußsphären kritisieren, zugleich aber die mit der NATO-Osterweiterung vollzogene Ausweitung ihrer eigenen Einflusssphären unterschlagen oder schönreden.

Nur wenn die westlichen Staaten diese Haltung aufgeben, ihre Mitverantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland anerkennen und daraus auch praktische politische Konsequenzen für die künftige Gestaltung dieser Beziehungen ziehen, besteht eine Chance für deren dauerhafte Verbesserung und damit für Stabilität und Kooperation auf dem gemeinsamen eurasischen Kontinent.

Was sind Putins Ziele?

Die Deeskalation des aktuell zugespitzten Konflikts wird erschwert durch die Unsicherheit über die Ziele, die Putin mit dem Truppenaufmarsch verfolgt.

Eine großflächige Invasion der Ukraine ist zwar nicht völlig auszuschließen, gilt unter westlichen wie russischen – sowohl kremlnahen wie kremlkritischen – Analysten aber als das unwahrscheinlichste Szenario. Schon für eher möglich gehalten wird ein Versuch Russlands, den Donbas militärisch zu besetzen – mit der Rechtfertigung, die inzwischen über 400.000 mit russischen Pässen ausgestatteten Einwohner:innen dieser beiden ostukrainischen Provinzen vor einem Angriff der ukrainischen Regierungsstreitkräfte zu schützen – und diese Region dann ähnlich wie 2014 die Krim nach Russland einzugliedern.

Darüberhinaus, so wird spekuliert, könnten die russischen Truppen dann den Nord-Krim-Wasserkanal bis zum Fluß Dnirpo unter ihre Kontrolle bringen. Moskau könnte damit den chronischen Wassermangel auf der Krim beenden. Die ukrainische Regierung hatte die Wasserversorgung der Halbinsel nach der Annexion durch Russland gestoppt.

Oder glaubt Putin, er könne mit seiner militärischen Drohkulisse seine Forderungen und Vorschläge durchsetzen, die er Mitte Dezember der USA und der NATO in Form von zwei Vertragsentwürfen übermittelt hatte (keine Aufnahme der Ukraine und anderer ehemaliger Teilstaaten der UdSSR in die NATO; Verzicht auf die Stationierung und Nutzung von Truppen und militärischer Infrastruktur der USA in osteuropäischen NATO-Staaten etc.)?

Was immer die Absicht Putins ist: seine Handlungen sind sehr stark innenpolitisch motiviert. Für seine Ukrainepolitik hatte der russische Präsident unter den russischen Bürger:innen in den ersten Jahren nach der Krim-Annexion noch die Unterstützung einer großen Mehrheit von bis zu 85 Prozent der Befragten. Doch diese Unterstützung bröckelt infolge der schlechten Wirtschaftslage und Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, des Mißmanagments in der Coronapandemie, sowie der zunehmenden Repression gegen Regierungskritiker.

Die Zuspitzung eines außenpolitischen Konflikts verbunden mit dem Schüren nationalistischer Gefühle ist ein Versuch, das Volk wieder hinter der Regierung zu vereinen und Dissidenz zu unterbinden. Ob dieses Kalkül aufgeht, ist zwar nicht sicher. Doch auf jeden Fall sollte der Westen mit Maßnahmen und Vorschlägen reagieren, die Putin einen Rückzug der Streitkräfte von der ukrainischen Grenze unter Gesichtswahrung ermöglichen.

Der Verzicht der NATO auf die 2008 in Aussicht gestellte Aufnahme der Ukraine wäre in all den Jahren seit der Krim-Annexion und noch bis vor kurzem eines der wichtigsten Signale des Westens an Moskau gewesen, um die negative Dynamik in den beiderseitigen Beziehungen umzukehren.

Daß die „Ukraine als souveräner Staat das Recht hat, sich frei für ein Bündnis zu entscheiden“ ist zwar völkerrechtlich und formal völlig richtig. Aber genauso hätten die ebenfalls souveränen Mitgliedsstaaten der NATO das Recht, aus Gründen der politischen Klugheit gegen eine Mitgliedschaft der NATO zu entscheiden. Nachdem allerdings Putin die entsprechende Forderung im Dezember offiziell und schriftlich vorgelegt hat, scheint ihre Erfüllung zumindest zum jetzigen Zeitpunkt für die NATO auch aus Gründen ihrer Gesichtswahrung nicht möglich. Die Forderung bleibt dennoch richtig.

Rüstungskontrollverhandlungen

Doch auf Verhandlungen zu einigen der rüstungskontrollpolitischen Forderungen und Vorschlägen in Putins Vertragsentwürfen sollten die NATO-Staaten sich jetzt einlassen – und dabei natürlich auch reziproke Schritte Russlands einfordern. Darunter die Beendigung der militärischen Unterstützung der Sezessionisten im Donbas, den Verzicht auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen oder den Rückzug der Truppen aus den beiden von Georgien abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien.

Entspannung, Verhandlungen und Kooperation zwischen dem Westen und Russland sind aber nicht nur in den militärischen Bereichen der Sicherheitspolitik dringend erforderlich, sondern auch in der Energiepolitik. Es liegt im herausragendes gemeinsames Interesse aller Menschen auf dem eurasischen Kontinent – und darüber hinaus – daß die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden.

Dieses Ziel wird aber krachend verfehlt werden, wenn Russland und seine Volkswirtschaft in der derzeitigen Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern Öl und Gas verbleiben. Deutschland und seine EU-Partner sollten daher alle nur erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um Russland bei der Diversifizierung seiner Volkswirtschaft und der schrittweisen Befreiung aus dieser fatalen Abhängigkeit zu unterstützen.

In diesem Kontext könnte die umstrittene Nordstream-2-Pipeline vom Zankapfel zu einem Kooperationsprojekt werden. in dem die EU-Länder Russland die notwendigen Technologien zur Erzeugung von Wasserstoff mit Hilfe von Solar-und Windenergie zur Verfügung stellen, und anstelle von Gas dann Wasserstoff durch die Pipeline geliefert wird.

Den richtigen Vorschlag für ein gemeinsames Wasserstoffprojekt, den Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Kiew gemacht hat, hätte sie auch in Moskau unterbreiten sollen.

(1) Belege und Zeug:innen für die 1990 gemachten Zusagen an Gorbatschow, die NATO nicht nach Osten zu erweitern sowie die Irreführung von Jelzin in den Jahren 1991-96 unter diesen Links: https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/russia-programs/2017-12-12/nato-expansion-what-gorbachev-heard-western-leaders-early

https://www.spiegel.de/politik/absurde-vorstellung-a-a18a7cab-0002-0001-0000-000067871653

https://www.zeit.de/2019/26/nato-osterweiterung-russland-horst-teltschik-william-burns

https://www.youtube.com/watch?v=o8rarwFKjw8&t=158s

—— Von besonderer Bedeutung erscheint mir vor dem Hintergrund der beiden Artikel von Andreas Zumach dieser Beitrag:

https://www.gsp-sipo.de/news/news-details/aufruf-zur-verbesserung-der-beziehungen-zu-russland Aufruf zur Verbesserung der Beziehungen zu Russland

05.12.2021

(…)

——

Am 14.1.2022 veröffentlichte IPPNW den nachfolgenden Appell:

https://www.ippnw.de/startseite.html

IPPNW-Pressemitteilung vom 14. Januar 2022 Friedensnobelpreisträgerorganisation fordert beidseitiges Entgegenkommen

Verhandlungen zum Ukraine-Konflikt

(…)

------

Weitere Informationen unter: https://www.besserewelt.info/politik/politik-nach-kontinenten/russland-osteuropa/ukraine und

https://www.betterworld.info/politics/europe-non-eu/ukraine ----

Zum Mitmachen möchte ich zum Schluss einladen für den 22.1.2022:

https://www.friedenskooperative.de/jahrestag-atomwaffenverbot-2022 Erster Jahrestag des Inkrafttretens des Atomwaffenverbotsvertrages

Aktionstag für den AVV am 22. Januar 2022

Am Samstag, den 22. Januar 2022 feiern wir den ersten Jahrestag des Inkrafttretens des Atomwaffenverbotsvertrags, indem wir überall Peace-Zeichen aufleuchten lassen. (…)

Anlässlich des ersten Jahrestag des Atomwaffenverbotsvertrages (AVV) am 22.01. gibt es einen landesweiten Aktionstag unter dem Motto „Licht im Dunkeln“ um die Bundesregierung dazu aufzufordern dem AVV beizutreten. Aus vielen mitgebrachten Kerzen werden große Peace-Zeichen gestellt.

Es folgt die Liste der Städte, in denen Aktionen geplant sind:

https://www.friedenskooperative.de/jahrestag-atomwaffenverbot-2022