Jim Forest und Thich Nhat Hanh in memoria

Gespeichert von Thomas Nauerth am
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https://forusa.org/an-indelible-encounter/

Jim Forest war in den 60er Jahren "Vietnam Program Coordinator of the Fellowship of Reconciliation", ein buddhistischer Mönch aus Vietnam war eingeladen worden, in den USA für sein Land und gegen den Krieg zu sprechen. Für Jim Forest, später u.a. Generalsekretär von IFOR, eine entscheidende Phase in seinem Leben. Nun, am 13.01. ist Jim Forest gestorben und, welch seltsamer Zufall, eine Woche später auch dieser buddhistische Mönch, Thich Nhat Hanh, der Friedensarbeit und dem Versöhnungsbund tief verbunden (vgl. zu Thich Nhat Hanh https://plumvillage.org/de/fuenf-gedanktage-fuer-thich-nhat-hanh/ und https://forusa.org/category/thich-nhat-hanh/ )

Im folgenden eine Erinnerung von Jim Forest aus der Zeit des gemeinsamen Kampfes gegen den Vietnam Krieg:

1968 ging ich mit Thich Nhat Hanh für den Versöhnungsbund auf Tour. Wir trafen uns mit Kirchen- und Studentengruppen, Senatoren, Journalisten, Professoren, Geschäftsleuten und (welch ein Segen!) mit einigen Dichtern. Fast überall, wohin er kam, entwaffnete dieser buddhistische Mönch aus Vietnam in brauner Kutte (der viele Jahre jünger aussah als ein Mann in den 40ern, der er war) schnell alle, denen er begegnete.

Seine Freundlichkeit, seine Intelligenz und sein gesunder Menschenverstand machte es den meisten, die ihm begegneten, unmöglich, an ihren Stereotypen davon festzuhalten, wie die Vietnamesen seien. Seine Geschichten und Erklärungen quollen über vom großen Schatz der vietnamesischen und buddhistischen Vergangenheit. Sein Interesse am Christentum, ja selbst seine Begeisterung dafür, inspirierte viele Christen dazu, ihre Haltung  der Herablassung gegenüber der Tradition, aus der Nhat Hanh kam, aufzugeben. Er konnte Tausende von Amerikanern dazu bringen, den Krieg mit den Augen der vietnamesischen Bauern zu sehen: Sie arbeiteten in ihren Reisfeldern und zogen ihre Kinder und Enkel in Dörfern auf, die von alten Bambushainen umgeben waren. Er weckte das Kind im Erwachsenen, wenn er die Kunst des Dorf- Drachenbauers und den Klang der Blasinstrumente beschrieb, den diese zerbrechlichen Instrumente bis in die Wolken trugen.

Wenn man eine einzige Stunde mit ihm verbracht hatte, war man von der Schönheit Vietnams beseelt und voller Empörung über die militärische Einmischung Amerikas in die politischen und kulturellen Angelegenheiten des vietnamesischen Volkes. Man verlor auf der Stelle alle weltanschaulichen Bindungen, mit denen die Schlachten der einen oder anderen Partei gerechtfertigt werden, und man empfand das Grauen vor einem Himmel voller Bomber und vor zu Asche verbrannten Häusern und man hatte Mitleid mit  Kindern, die ohne Eltern und Großeltern und deren Liebe aufwachsen mussten.

Doch eines Abends begegnete Nhat Hanh nicht Verständnis, sondern die maßlose Wut eines US-Bürgers. Er hatte zu der Zuhörerschaft einer christlichen Kirche in einem reichen Vorort von St Louis gesprochen. Wie immer hatte er betont, wie notwendig es sei, dass die Amerikaner aufhörten, sein Land zu bombardieren und dessen Einwohner zu töten. Es wurde gefragt und geantwortet und schließlich stand ein Mann auf und sprach mit beißender Verachtung über das „angebliche Mitgefühl dieses Herrn Hanh“. „Wenn Sie sich solche Sorgen um Ihr Volk machen, Herr Hanh, warum sind sie dann hier und nicht dort? Wenn Sie sich so sehr um die Menschen sorgen, die verletzt werden, warum verbringen Sie dann nicht Ihre Zeit mit ihnen?“ An diesem Punkt ersetzt die Erinnerung an den heftigen Ärger, der mich überkam, meine Erinnerung an seine weiteren Worte.

Als er zu Ende gesprochen hatte, sah ich bestürzt in Richtung Nhat Hanh. Was konnte er  oder irgendein anderer darauf sagen? Plötzlich hatte der Geist des Krieges selbst diesen Raum erfüllt und man konnte kaum noch atmen.

Es herrschte Schweigen.

Dann begann Nhat Hanh zu sprechen - ruhig, mit großer Gelassenheit, ja in einem Ton der persönlichen Fürsorge für den Mann, der ihn gerade verurteilt hatte. Seine Worte waren wie Regen, der auf ein Feuer fällt.

Er sagte: „Wenn Sie möchten, dass ein Baum wächst, genügt es nicht, die Blätter zu befeuchten. Sie müssen den Wurzeln Wasser geben. Viele der Wurzeln des Krieges sind hier in Ihrem Land. Um den Menschen, auf die Bomben geworfen werden, zu helfen, um zu versuchen, sie vor noch mehr Leiden zu bewahren, bin ich hergekommen.“

Die Atmosphäre im Raum war verwandelt. In der Wut des Mannes hatten wir unsere eigene Wut erlebt: Wir hatten die Welt durch einen Bombenschacht gesehen. Aus Nhat Hanhs Antwort hatten wir eine andere Möglichkeit erfahren. Ein Buddhist überbrachte Christen und ein „Feind“ Amerikanern diese Botschaft :  Wir haben die Möglichkeit, Hass mit Liebe zu überwinden und die scheinbar endlose Kettenreaktion der Gewalt in der gesamten Geschichte der Menschheit abzubrechen.   

Doch nach seiner Antwort flüsterte Nhat Hanh dem Vorsitzenden etwas zu und verließ schnell den Raum. Ich merkte, dass da etwas nicht stimmte, und ging ihm nach. Es war eine kalte klare Nacht. Nhat Hanh stand auf dem Gehweg und schnappte nach Luft – wie einer, der tief unter Wasser gewesen war, dem es mit Mühe gelungen war, an die Oberfläche zu kommen, und der um Atem rang. Erst nach einigen Minuten wagte ich, ihn zu fragen, wie es ihm gehe oder was geschehen sei.

Nhat Hanh erklärte mir, dass ihn die Bemerkungen des Mannes sehr traurig gemacht hätten. Er hätte ihm gerne wütend geantwortet. Darum hatte er tief und sehr langsam geatmet, damit es ihm möglich würde, ruhig und verständnisvoll zu antworten. Aber sein Atmen sei zu langsam und zu tief gewesen.

„Warum wolltest du ihm nicht wütend antworten?“, fragte ich ihn. „Auch Pazifisten haben ein Recht darauf, wütend zu werden.“

„Wenn es nur um mich gegangen wäre, ja. Aber ich bin hier, um für die vietnamesischen Bauern zu sprechen. Ich muss den Menschen hier uns Vietnamesen in unserer besten Art und Weise zeigen.“

Dieser Augenblick war einer der entscheidenden in meinem Leben, seitdem habe ich immer wieder über die Sache nachgedacht.

entnommen von : https://forusa.org/an-indelible-encounter/ (Übersetzung Ingrid v. Heiseler)
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