Informationen zum Krieg in der Ukraine zum Gedenktag der Befreiung vom Faschismus

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Liebe Friedensinteressierte,

der 8. und 9. Mai sind besondere Gedenktage anlässlich der Befreiung vom Faschismus und des Endes des 2. Weltkrieges.

Vor diesem Hintergrund sende ich die folgende Beiträge - mit Schwerpunkt Ukraine-Krieg:

  1. F.A.Z.: Schleichender Strategiewechsel: Amerika will Russland über den Krieg hinaus schwächen
  2. F.A.Z.: Amerikanische Geheimdienste: Wurde ein russisches Schiff mit Hilfe aus Washington versenkt?
  3. n-tv: UN-Sicherheitsrat "zutiefst besorgt" über Lage in Ukraine
  4. F.A.Z.: Interview mit Reinhard Merkel: Die Pflichten der Ukraine
  5. Universität Leipzig: Elisa Hoven: WAFFENLIEFERUNGEN - Nicht jeder Skeptiker ist ein Putin-Versteher
  6. Monitor: Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft
  7. bpb: Martina Fischer: Die Hoffnung auf eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur nicht aufgeben
  8. Ernst Grube, Überlebender der Shoah, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau e.V., Rede am 1. Mai 2022
  9. Gedenkveranstaltungen zum 8. Mai 2022

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1. F.A.Z.: Schleichender Strategiewechsel: Amerika will Russland über den Krieg hinaus schwächen

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-krieg-usa-wollen-russland-dauerhaft-schwaechen-17987927.html

Schleichender Strategiewechsel: Amerika will Russland über den Krieg hinaus schwächen

Von Majid Sattar, Washington

Aktualisiert am 27.04.2022-20:

Zwei Monate nach Kriegsbeginn setzt Washington sich neue Ziele.

Die amerikanische Regierung bereitet sich auf eine jahrelange Auseinandersetzung mit Moskau vor.

(…)

Austin hatte zuvor schon deutlich gemacht, dass Washington nicht nur seine Militärhilfe ausweite, sondern auch sein strategisches Ziel verändere. In Polen sagte der Verteidigungsminister am Montag: „Wir wollen Russland in einem Maße geschwächt sehen, das es dem Land unmöglich macht, zu tun, was es in der Ukraine mit der Invasion getan hat.“

Russland habe schon viele seiner militärischen Ressourcen verloren und auch viele Soldaten. „Wir wollen, dass sie nicht in der Lage sind, diese Ressourcen schnell zu ersetzen.“ Später machten Regierungsvertreter deutlich, dass Austin mit seiner Aussage unmittelbar das Ziel verfolgt habe, Wolodymyr Selenskyj für mögliche Waffenstillstandsverhandlungen in den kommenden Monaten das stärkste Blatt zu geben. (…)

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2. F.A.Z.: Amerikanische Geheimdienste: Wurde ein russisches Schiff mit Hilfe aus Washington versenkt?

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wurde-ein-russisches-schiff-mit-hilfe-washingtons-versenkt-18011511.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Amerikanische Geheimdienste :

Wurde ein russisches Schiff mit Hilfe aus Washington versenkt?

Von Sofia Dreisbach,

Washington

Aktualisiert am 06.05.2022 - 19:53

Geheimdienstinformationen der Vereinigten Staaten sollen den ukrainischen Streitkräften laut amerikanischen Medienberichten bei der Versenkung des russischen Raketenkreuzers „Moskwa“ geholfen haben. Der Sender NBC berichtete am Donnerstag unter Berufung auf Regierungsbeamte, dass Kiew die Vereinigten Staaten um Informationen über ein im Schwarzen Meer kreuzendes Schiff gebeten habe.

Die amerikanischen Geheimdienste hätten das Schiff daraufhin als „Moskwa“ identifiziert und seine Position weitergegeben. Man habe jedoch nicht gewusst, dass die Ukraine das Schiff angreifen werde. (…)

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3. n-tv: UN-Sicherheitsrat "zutiefst besorgt" über Lage in Ukraine

https://www.n-tv.de/politik/17-30-EU-Expertin-erschuettert-ueber-Menschenrechtsverbrechen--article23143824.html

(…)

22:02 UN-Sicherheitsrat "zutiefst besorgt" über Lage in Ukraine

Der UN-Sicherheitsrat einigt sich mehr als zwei Monate nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erstmals auf eine gemeinsame Stellungnahme. Das mächtigste UN-Gremium erklärt einstimmig - also auch mit Zustimmung von Aggressor Russland -, man sei "zutiefst besorgt" über den Konflikt in der Ukraine. Gleichzeitig begrüßt der Sicherheitsrat die Vermittlungsbemühungen von UN-Generalsekretär António Guterres. Die Einigung gilt als schwächste mögliche Stellungnahme des internationalen Gremiums.

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4. F.A.Z.: Interview mit Reinhard Merkel: Die Pflichten der Ukraine

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ukraine-krieg-reinhard-merkel-im-interview-ueber-offenen-brief-18005242.html

Interview mit Reinhard Merkel: Die Pflichten der Ukraine

Von Patrick Bahners und Andreas Kilb

Aktualisiert am 04.05.2022

Auch der gebotene Widerstand gegen einen Aggressor kann in Unrecht umschlagen. Ist im Ukrainekrieg dieser Punkt in Sicht?

Ein Gespräch mit dem Strafrechtler Reinhard Merkel, einem Mitverfasser des von „Emma“ veröffentlichten Offenen Briefes.

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5. Universität Leipzig: Elisa Hoven: WAFFENLIEFERUNGEN - Nicht jeder Skeptiker ist ein Putin-Versteher

https://www.jura.uni-leipzig.de/fileadmin/Fakult%C3%A4t_Juristen/Professuren/Hoven/Ver%C3%B6ffentlichungen/Waffen_fu%CC%88r_die_Ukraine_Nicht_jeder_Skeptiker_ist_ein_Putin-Versteher_-_WELT.pdf

WAFFENLIEFERUNGEN

Nicht jeder Skeptiker ist ein Putin-Versteher

Stand: 21:58 Uhr

Von Elisa Hoven

Fast die Hälfte aller Deutschen lehnt die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine ab. Die Medien spiegeln das nicht wider. Hier erklärt Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven, warum sie den Offenen Brief von Alice Schwarzer unterschrieben hat – und kein Ziel jedes Mittel rechtfertigt.

(…)

Das Leid der ukrainischen Bevölkerung geht uns alle etwas an. Darin sind sich die Unterzeichner des Briefs und ihre Kritiker völlig einig, auch wenn das anscheinend nicht immer gesehen wird. Entsetzen und Zorn entbinden uns jedoch nicht von der Pflicht, politische und vor allem militärische Schritte ruhig und rational zu durchdenken.

Und hier setzt der Brief an. In der Rechtswissenschaft geht es viel um Verhältnismäßigkeit. Dahinter steht eine Abwägung von Zweck und Mittel. Dieses Verfahren ist auf politische Entscheidungen übertragbar. Kein Ziel darf „um jeden Preis“ erreicht werden. Es muss immer gefragt werden, ob eine Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist. Bei der Lieferung schwerer Waffen ist schon die genaue Zielsetzung nicht leicht zu bestimmen. (…)

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6. Monitor: Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft

Knapp eine Million Aufrufe hat diese Monitor-Sendung vom 8.6.2018, die in 8 Minuten und 50 Sekunden Wesentliches zur Konfliktverschärfung zwischen NATO und Russland bis 2018 auf den Punkt bringt - und damit auch aufzeigt, was es zu zukünftig zu bearbeiten gilt:

https://www.youtube.com/watch?v=-iJNtff6HTU&ab_channel=ARD

Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft

Monitor | Das Erste | WDR

Panzerverlegungen, Truppenmanöver, Aufrüstung – fast wie im Kalten Krieg stehen sich in Osteuropa tausende russische und westliche Soldaten gegenüber. Die Stimmung wird immer feindseliger.

Schuld sei die aggressive Politik Russlands mit der Annexion der Krim und dem militärischen Eingreifen in der Ostukraine und Syrien, sagt die NATO.

Was dabei regelmäßig ausgeblendet wird: Auch der Westen setzt seit Jahren auf Aggression und Provokation statt auf Diplomatie und Kooperation – und heizt den Konflikt mit Russland damit an.

7. bpb: Martina Fischer: Die Hoffnung auf eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur nicht aufgeben

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/507623/die-hoffnung-auf-eine-gesamteuropaeische-friedens-und-sicherheitsarchitektur-nicht-aufgeben/

Die Hoffnung auf eine gesamteuropäische

Friedens- und Sicherheitsarchitektur nicht aufgeben

Martina Fischer

26.4.2022

Angesichts der Bilder von Tod und Zerstörung und der Angriffe der russischen Armee auf zivile Ziele in der Ukraine fällt es schwer, noch Chancen für Diplomatie zu erkennen. Dennoch darf die Möglichkeit für Gespräche nicht verschüttet werden. Verhandlungen und Mediation durch Dritte können in bestimmten Situationen einen gesichtswahrenden Ausstieg aus der Eskalationsspirale ermöglichen.

Nur auf Eskalation zu setzen, kann alle Beteiligten in den Abgrund führen. Eine Ausweitung des Krieges ist mit allen Mitteln zu verhindern. Und man sollte die Hoffnung auf eine kooperative, gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung nicht aufgeben, rät die Friedensforscherin Martina Fischer.

(…)

Wie kommt man raus aus der Eskalationsspirale?

Der Wunsch, Russland vollständig zu isolieren, alle Brücken abzubrechen, das Regime in die Knie zu zwingen und dadurch die Kriegsmaschinerie zu stoppen, ist naheliegend und verständlich, aber die Frage, wie das erreicht werden kann, ist unbeantwortet. Angesichts von immer mehr publik werdenden Kriegsgräueln fällt es schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren und Reaktionen abzuwägen. Man muss sich jedoch immer wieder klarmachen, dass der Angriffskrieg von der russischen Regierung geführt wird und dass nicht alle in Russland lebenden Menschen damit einverstanden sind.

Gerade auf gesellschaftlicher Ebene dürfen nicht alle Brücken abgebrochen werden. Heute ist es wichtiger denn je, persönliche Kontakte mit Menschen in Russland zu nutzen, um dort Informationen über das Kriegsgeschehen zu verbreiten. Auch auf der politischen Ebene sollte man nicht einfach alle Türen zuschlagen. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten offen für Gespräche bleiben.

Um die Gewalt zu stoppen und einen Weg für Verhandlungen zu ebnen, müssen diplomatische Bemühungen auf unterschiedlichen Ebenen fortgesetzt und intensiviert werden. Und angesichts der Ankündigung Putins, die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Eskalation in einen Nuklearkrieg zu verhindern. Luftraumverletzungen oder vergleichbare Fehlleistungen, die schon in Friedenszeiten zum militärischen Alltag gehören, können in einer hocheskalierten Situation schnell zum Desaster führen. Daher muss man jetzt mehr miteinander reden denn je.

Der österreichische FriedensforscherExterner Link: Friedrich Glasl hat überzeugend illustriert, wohin es führt, wenn nicht mehr gesprochen wird und sich die Energie nur mehr auf die Vernichtung des gegnerischen Systems richtet: gemeinsam in den Abgrund. Um im Gespräch zu bleiben, so Glasl, sind Dämonisierung und Polemik der falsche Weg.

Eine Politik der Stärke, wie sie nun durch internationale Institutionen, die EU-Mitgliedsländer und weitere Staaten mithilfe von Sanktionen beschlossen wurde, ist wichtig, um auf die russische Regierung Druck auszuüben. Der Ausschluss aus dem SWIFT-Abkommen und der Abbruch von Kooperation im Bereich der Technologieentwicklung werden das Regime mittelfristig treffen. Gleichzeitig sollten Rohstofflieferungen aus Russland reduziert werden.

Dafür müssen sich Deutschland und andere europäische Länder so schnell wie möglich von fossilen Energieträgern unabhängig machen. Hier ergibt sich jedoch ein Dilemma, weil Erdgaslieferungen aus Russland offenbar kurzfristig nicht ersetzt werden können: Es gibt ernstzunehmende Warnungen, dass die EU-Mitgliedstaaten mit einem sofortigen umfassenden Energieembargo massiven sozioökonomischen Schaden nehmen würden. Bei der Festlegung von Sanktionen muss man also deren voraussichtliche Wirkung für alle Seiten sorgfältig kalkulieren. Zudem muss abgewogen werden, wieviel Druck geboten ist und wie man bei Bedarf auch wieder deeskalieren kann.

Auf die Ambivalenz und das eskalierende Potenzial von Sanktionen haben die Friedensforscher Externer Link: Tobias Debiel und Herbert Wulf überzeugend hingewiesen: es brauche eine Politik der Stärke, Sanktionen müssten Russland hart treffen, aber nicht vernichten (auf die Gefahren, die eine völlige Destabilisierung mit sich bringen würde, verweist auch die Russland-Expertin Externer Link: Sabine Fischer).

Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine steht angesichts eines Angriffskriegs außer Frage. Aber auch bei der militärischen Unterstützung sei Vorsicht geboten, meinen Debiel und Wulf: Wenn diese über die Lieferung von Defensivwaffen hinausgehe, sei das „ein Spiel mit dem Feuer“ und ein Schritt auf die nächste Stufe der Eskalationsleiter. „Dies gilt insbesondere für die zeitweise diskutierte Entsendung polnischer MIG 29-Kampfflugzeuge. Allein deren logistische Verbringung in die Ukraine würde gefährlich die Schwelle zu einer unmittelbaren NATO-Kriegsbeteiligung streifen.“ Genau das aber, die Eskalation in einen dritten Weltkrieg, gilt es unbedingt zu verhindern.

Bedenkenswerter Vorschlag aus amerikanischen Think Tanks

Zu den aktuellen diplomatischen Bemühungen gehören unter anderem die Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern und bilaterale Initiativen, wie sie zum Beispiel von der israelischen und der österreichischen Regierung gestartet wurden. Die amerikanischen Politikwissenschaftler Thomas Graham (Council on Foreign Relations, New York) und Rajan Menon (City University of New York) haben in einem Aufsatz in Externer Link: „Foreign Affairs“einige bedenkenswerte Vorschläge unterbreitet. Sie gehen davon aus, dass sich der Krieg in der Ukraine sehr lang hinziehen und keineswegs kurzfristig militärisch entschieden wird.

Die Anzahl der Toten und das Ausmaß der Zerstörung werde sich in diesem Prozess potenzieren, und damit steige das Risiko, dass sich der Konflikt ausweitet: „Eine Verlängerung der russischen Offensive wird zum Tod von vielen weiteren unschuldigen Ukrainern und zu weiterem ökonomischen Schaden in diesem Land führen, dessen Beseitigung Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Zudem steigt die Gefahr, dass sich der Krieg über die Ukraine hinaus ausweitet und die Vereinigten Staaten und die NATO-Alliierten in eine bewaffnete Konfrontation mit Russland hineinzieht.

Moskau hat bereits angekündigt, dass es Konvois, die westliche Waffen in die Ukraine transportieren, als legitime Ziele betrachtet und nicht vor Luftschlägen und Raketenangriffen auf Orte nahe der ukrainisch-polnischen Grenze zurückschreckt. Forderungen nach einer Flugverbotszone über der Ukraine oder nach immer schärferen Sanktionen mit dem Ziel, Putins politische Ordnung zum Zusammenbruch zu bringen, bergen das Risiko massiver, verhängnisvoller und unbeabsichtigter Folgen, ohne dass die erwünschten Ergebnisse erreicht werden“ (Übers. M. Fischer).

Genau hier verlaufen auch die Grenzen der Bereitschaft, den Forderungen Kiews nach solidarischer Unterstützung nachzukommen, wie Christopher Daase, Ko-Direktor der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, in einem Externer Link: Beitrag für die FAZ verdeutlicht hat. Gleichzeitig verstärkt sich der Druck auf die Politik mit den Bildern weiterer Gräueltaten und damit das Risiko, dass mit Maßnahmen reagiert wird, die weitere Eskalationsgefahren mit sich bringen.

Externer Link: Graham und Menon sehen die oberste Priorität darin, das Leiden zu beenden, und zwar durch diplomatisches Engagement, das sich auf eine politische Übereinkunft richten müsse. Ihre Überlegungen lassen sich so zusammenfassen: Oberstes Gebot sei es, einen Waffenstillstand auszuhandeln und eine umfassende humanitäre Versorgung von Verwundeten und Geflüchteten innerhalb und jenseits der Ukraine zu ermöglichen. Eine Waffenruhe könne auch die Bedingungen für diplomatische Bemühungen (die Anbahnung von Verhandlungen) verbessern.

Die russische Armee werde versuchen, soviel Gebiet wie möglich zu erobern, also neben der Krim auch Teile der nördlichen und östlichen Ukraine, einschließlich eines Landkorridors zwischen Russland und der Halbinsel. Dennoch müssten die russisch-ukrainischen Gespräche weitergehen. Die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer müssten überlegen, welche Kompromisse sie mittragen könnten, um ein Ende des Krieges und den Abzug der russischen Truppen zu erwirken.

Aus ukrainischer Sicht wären Sicherheitsgarantien westlicher Länder für eine Neutralitätslösung zwingend, und diese müssten von Russland akzeptiert werden. Zudem müsse man Russland an den Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine beteiligen, die ansonsten weitgehend von den westlichen Ländern zu stemmen wären. Die westlichen Staaten wiederum müssten klären, unter welchen Bedingungen sie bereit wären, die Sanktionen gegenüber Russland wieder zu lockern, um einen Anreiz für Kooperation zu schaffen.

Es sei das Recht der Ukraine, die Bedingungen zu definieren, zu denen sie bereit wäre, die Waffen niederzulegen, so Externer Link: Graham und Menon. Aber Verhandlungen könnten sich nicht auf die Ukraine und Russland beschränken, denn ein Ausweg aus der gegenwärtigen Krise müsse neben der geopolitischen Orientierung der Ukraine auch Moskaus Bedenken bezüglich der europäischen Sicherheitsarchitektur („Moscow’s broader concerns about Europe’s security architecture“) adressieren.

Für diese Diskussion aber werde die russische Regierung vor allem mit den Vereinigten Staaten verhandeln wollen, dem einzigen Land, das – neben Russland – über das militärische Potenzial verfüge, die Machtbalance auf dem Kontinent zu beeinflussen.

Die USA müssten folglich als Garant für ein Friedensabkommen fungieren. Die NATO-Osterweiterung stehe im Zentrum einer solchen Debatte. Bislang, so Graham und Menon, hätten die USA und ihre Alliierten jegliche Diskussion dazu kategorisch abgelehnt. Putin werde jedoch seinen Widerstand gegen den Beitritt der Ukraine nicht fallen lassen.

Daher müsse ausgelotet werden, ob der Kreml die militärische Kooperation einer neutralen Ukraine mit westlichen Ländern akzeptieren würde, die eine Selbstverteidigung ermögliche, wenn gleichzeitig ausgeschlossen wird, dass NATO-Kampftruppen, -Waffen oder -Stützpunkte in der Ukraine disloziert werden. Im Gegenzug müsste Russland auf die Stationierung militärischer Arsenale im Grenzgebiet verzichten.

Zu ernsthaften Verhandlungen und Konzessionen wären die Kriegsbeteiligten vermutlich erst dann bereit, wenn sie zu dem Schluss kommen, dass eine Fortsetzung der Kampfhandlungen mit höheren Kosten verbunden wäre als die Opfer und Zugeständnisse, die ihnen eine diplomatische Regelung abverlangen würde. Dieses Stadium sei noch nicht erreicht, aber angesichts der zunehmenden Brutalität und der steigenden Verluste auf beiden Seiten – und auch der fragilen sozioökonomischen Bedingungen in den westlichen Ländern – könnte eine solche Situation eher eintreten als erwartet, und darauf solle man sich vorbereiten.

Alle diplomatischen Foren und Kanäle nutzen

Die ukrainische Regierung hat bereits Verhandlungsangebote in den Raum gestellt, nämlich die Möglichkeit einer Neutralität mit Sicherheitsgarantien und einen Sonderstatus der Gebiete in der Ostukraine. Der russische Präsident hat zwar angedeutet, der Krieg könne beendet werden, wenn die Ukraine bereit sei, auf den Donbass, die Krim und einen NATO-Beitritt zu verzichten. Aber ob die russische Seite es zu diesem Zeitpunkt überhaupt auf ernsthafte Verhandlungen anlegt, ist schwer zu beurteilen. Aktuell scheint sie eher daran interessiert, Gelände und Zeit für die Umgruppierung von Truppen und eine veränderte Taktik zu gewinnen.

Das könnte sich aber ändern, wenn der russische Präsident irgendwann die Kosten und Verluste auf der eigenen Seite und den Preis weiterer Kriegsführung als zu hoch einschätzen sollte. Für diesen Moment sollte man offen bleiben. Dann könnte auch eine Vermittlung durch dritte Parteien ins Spiel kommen, die mit den Beteiligten nach einem gesichtswahrenden Ausstieg suchen, etwa ein Team von mediationserfahrenen DiplomatInnen, das gemeinsam mit einem UN-Sonderbeauftragten vermittelt und mit Russland, der Ukraine und der NATO nach tragfähigen Lösungen sucht.

Die VermittlerInnen müssten allerdings aus Staaten kommen, die nicht direkt in den Konflikt involviert sind, und für alle Seiten akzeptabel sein. Auch die diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der Externer Link: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) könnten dafür genutzt werden. Ihr gehören 57 Staaten in Europa und Zentralasien sowie die USA und Kanada an.

Ihre diplomatischen und sicherheitspolitischen Instrumente (Dialog- und Mediationsformate und Beobachtungsmaßnahmen) kamen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bereits zum Einsatz, wurden jedoch im internationalen Rahmen in den vergangenen Jahren nie ausreichend unterstützt. Um das zu verstehen, ist ein historischer Rückblick nützlich.

Rückblick: Verpasste Chancen und Fehleinschätzungen (1990–2022)

Der Historiker Bernd Greiner hat in seinem Beitrag Interner Link: „Was lief schief seit dem Ende des Kalten Krieges?“ in der Reihe „Zeitenwende? Der Ukrainekrieg und die Folgen“ des Deutschland Archivs der bpb am 1.4.2022 in eindrücklicher Weise dargelegt, dass nach dem Ende des Kalten Kriegs und nach der Auflösung der Sowjetunion sehr viele Chancen verpasst wurden, eine neue und nachhaltige Sicherheitsordnung in Europa aufzubauen. Die 1990er-Jahre bezeichnet er als ein „sicherheitspolitisch vergeudetes Jahrzehnt" voller Versäumnisse und Fehleinschätzungen.

Statt auf die OSZE zu setzen und eine Sicherheitsarchitektur gemeinsam mit Russland zu entwerfen, setzten einflussreiche Berater und Regierungen insbesondere in den USA auf Machtprojektion und eine Erweiterung des westlichen Militärbündnisses – ohne Not und in einer Zeit, in der die aus der Sowjetunion hervorgegangene Militärmacht Russland keinerlei Bedrohung für die NATO darstellte. Der UN-Experte Externer Link: Andreas Zumach sprach in diesem Zusammenhang von der „Hybris“ der westlichen Mächte.

Schließlich hatte eine Reihe von erfahrenen Diplomaten und Politikern wiederholt vor solchen Schritten gewarnt, allen voran der US-Amerikaner George F. Kennan, der selbst an der Abschreckungsdoktrin gegen die stalinistische Sowjetunion mitgearbeitet hatte, der SPD-Politiker Peter Glotz und diverse andere RusslandexpertInnen. Sie befürchteten, dass eine Erweiterung des Bündnisses all jenen Auftrieb geben könnte, die die Auflösung des sowjetischen Großreichs schwer verwinden konnten und sich weiter an imperialen (großrussischen) Ideen orientierten (vgl. Externer Link: Zumach).

Mit dieser Besorgnis lagen sie offenbar nicht ganz falsch. Sowohl in der staatlichen Führung als auch in der Wahrnehmung von Teilen der russischen Gesellschaft stieß die Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses auf Unverständnis und/oder Ablehnung.

(…)

Ausblick: Welche Zukunft hat der Frieden in Europa?

Es wäre fatal, die Hoffnung auf die Herstellung einer langfristigen europäischen Sicherheits- und Friedensordnung einfach aufzugeben. Schon vor Monaten hatten ehemalige Bundeswehroffiziere, Diplomaten und FriedensforscherInnen angesichts der Zuspitzung des neuen Ost-West-Konflikts vorgeschlagen, eine Externer Link: mehrjährige Konferenz auf den Weg zu bringen, die sich um die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa bemüht.

Diese Idee mag aktuell und kurzfristig nicht umsetzbar sein, aber sie ist deshalb nicht obsolet. Nur mit einer Reform der existierenden Dialogforen und Instrumente, die Vertrauensbildung und Rüstungsbegrenzung ermöglichen, lässt sich eine neue Sicherheitsordnung in Europa aufbauen. Gleichzeitig muss man die Hoffnung darauf richten, dass sich im Umfeld des Kreml irgendwann wieder Berater Gehör verschaffen, die über diplomatische Erfahrung verfügen und die Vorteile kooperativer Sicherheitsstrukturen zu schätzen wissen.

Frieden und Sicherheit in Europa werden langfristig nicht gegen, sondern nur gemeinsam mit Russland herstellbar sein. Dieser Satz, der von namhaften SicherheitspolitikerInnen seit Jahrzehnten geprägt (und auch von Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich wiederholt) wurde, bleibt richtig.

Die NATO-Mitgliedstaaten und Russland sollten vor allem die in der OSZE existierenden Instrumente für Rüstungskontrolle gemeinsam weiterentwickeln, sodass diese auch auf interne Konflikte und Operationen von irregulären Kräften und unkonventionelle Formen der Bedrohung angewandt werden können. Ziel ist eine überprüfbare Konvention über das Verbot unkonventioneller und irregulärer Kriege (also die Unterstützung von Rebellen und bewaffneten Akteuren in Drittstaaten durch Waffen, mediale Einflussnahme und Cyberattacken – bislang Teil der russischen wie auch der US-amerikanischen Militärdoktrin).

Zudem sollte man alles daransetzen, die USA und Russland dafür zu gewinnen, dem kürzlich gekündigten Externer Link: Open-Skies-Abkommen, das vertrauensbildende Maßnahmen im Luftraum vorsieht, wieder beizutreten. Externer Link: Friedrich Glasl wies in seinem Aufruf zum Beenden des Ukraine-Kriegs sehr richtig darauf hin, dass die Frage von Krieg und Frieden in Zukunft maßgeblich davon abhängen wird, ob es gelingt, „mit den seinerzeitigen Partnern der KSE-, SALT-, START-Abkommen (…) und mit bedeutenden Staaten wie China, Indien, Iran, Israel (…) eine zeitgemäße globale Sicherheits- und Friedensarchitektur auszuhandeln“. Will man verhindern, dass die Welt immer größerer Unsicherheit ausgesetzt wird, so müssen auf globaler Ebene wieder Kommunikationskanäle und Abkommen etabliert werden, die einen atomar geführten „Weltkrieg aus Versehen“ verhindern.

Zudem geht es darum, ein völlig entgrenztes globales Wettrüsten in einer inzwischen multipolaren Welt zu vermeiden. Und auf europäischer Ebene braucht es eine Neuauflage des „Helsinki-Prozesses“, wie es der Friedensforscher Externer Link: Herbert Wulf fordert: ein politisches Projekt, in dem atomare Abschreckung eingehegt wird, mit dem Ziel, wieder zu einer vorhersagbaren Politik zurückzukehren und den Weg für Rüstungskontrollverhandlungen über grenznahe Waffensysteme zu ebnen.

Dabei müsste aber das oberste Prinzip beherzigt werden, das den ersten Helsinki-Prozess im ausgehenden 20. Jahrhundert leitete: die Beachtung völkerrechtlicher Prinzipien, die in den vergangenen Jahren nicht nur von Russland, sondern auch von westlichen Akteuren verletzt wurden.

Wir brauchen eine europäische Sicherheitsarchitektur, die von allen Seiten mitgetragen wird, die garantiert, dass Grenzen geachtet werden und dass sich Sicherheit nicht nur an militärischer Logik, sondern an den Bedürfnissen der Menschen – also am UN-Konzept der „menschlichen Sicherheit“ orientiert. Eine solche Struktur sollte weder von Russland diktiert, noch von den Vereinigten Staaten dominiert werden, sondern eine völlig neue, europäische Ausrichtung haben.

Die Grundlage dafür bietet die OSZE, nicht der Ausbau von Militärbündnissen in Ost und West, die sich dann nach dem Vorbild des Kalten Krieges waffenstarrend gegenüberstehen. Schon jetzt übertreffen die Arsenale der NATO-Mitgliedstaaten die Potenziale Russlands um das Vier- bis Fünffache.

Das sollte für eine effektive Bündnisverteidigung definitiv ausreichen. Eine weitere Hochrüstung würde nicht mehr Sicherheit schaffen, sondern dazu führen, dass für die Bewältigung der großen Krisen, die die Menschheit herausfordern – Pandemien, die Klimakrise und das Artensterben – keine Mittel mehr zur Verfügung stehen.

Zitierweise: Martina Fischer, „Die Hoffnung auf eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur nicht aufgeben“, in: Deutschland Archiv, 26.4.2022, Link: www.bpb.de/507623.

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8. Ernst Grube, Überlebender der Shoah, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau e.V., Rede am 1. Mai 2022

Die nachfolgende Rede hat aktuell noch keinen Internet-Link.

Ernst Grube, Überlebender der Shoah, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau e.V.

Rede in Hebertshausen am 1. Mai 2022 anlässlich der Befreiungsfeier des Konzentrationslager Dachau

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Anwesende, liebe Freund*innen und Mitstreiter*innen,

Wir gedenken der von September 1941 bis Juni 1942 hier ermordeten 4000 bis 4500 Kriegsgefangenen aus der ehemaligen Sowjetunion.

Vor Jahrzehnten hat ein Friedensbündnis verschiedenster Gruppen dieses Gedenken initiiert. Seitdem kommen wir jedes Jahr anlässlich der Befreiungsfeier des Konzentrationslager Dachau auch in Hebertshausen am ehemaligen Schießplatz der SS zusammen. Inzwischen ist dieser Ort Teil der Gedenkstätte des ehemaligen KZ- Dachau.

Während wir an die sowjetischen Kriegsgefangenen erinnern, die in „einvernehmlicher Zusammenarbeit“ von Wehrmacht, Gestapo und vom KZ Lagerpersonal der SS planmäßig ermordet wurden, führt Russland derzeit heute einen brutalen, völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine.

Russ/-innen und Ukrainer/-innen waren von den Nazis als dieselbe Kategorie von Kriegsgefangenen und Häftlingen, als „rassisch besonders minderwertige slawische und gefährliche politische, weil kommunistische Elemente“ registriert worden. Sie waren denselben Entbehrungen, Demütigungen und lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt gewesen. Sie konnten sich nur auf die Solidarität unter den Häftlingen verlassen, um in wenigen Fällen zu überleben.

Die russische Führung führt Krieg gegen ein Land und Menschen, mit denen sie vor mehr als 80 Jahren gemeinsam unter entsetzlich großen Verlusten und Opfern erfolgreich gegen den deutschen Besatzungs- und rassistischen Vernichtungskrieg gekämpft haben.

Der rassistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg im Osten und die Shoah, diese in der Geschichte beispiellosen Menschheitsverbrechen sind aufs engste miteinander verbunden. Ohne diesen Krieg im Osten hätte Nazideutschland die Shoah nicht durchführen können.

Die Befreiung von Auschwitz und anderer Vernichtungsstätten im Osten, wie Riga, Kaunas, Minsk, Majdanek durch Soldaten der Roten Armee hatte unseren Abtransport aus Theresienstadt dorthin unmöglich gemacht und auch mir, meiner Mutter und meinen Geschwistern das Leben gerettet.

Die Sowjetunion hat die Hauptlast bei der Befreiung vom Faschismus getragen, eine welthistorische Leistung – für die sie und alle Menschen in ihren Ländern einen entsetzlich hohen Preis zahlten: Zerstörung, menschliche Verluste und tiefe Wunden, die bis heute nicht geschlossen sind.

Allein bis zur Kriegswende im Frühjahr 1943 in Stalingrad gerieten ca. 5,7 Millionen sowjetische Soldaten in deutsche Gefangenschaft. Bis zum Kriegsende im Mai 1945 wurden über 3,3 Millionen gefangene Sowjetsoldaten systematisch umgebracht. Sie wurden als »jüdisch-bolschewistische Untermenschen« erschossen, vergast. Die Wehrmacht ließ sie gezielt verhungern und erfrieren. Nach den Juden sind die sowjetischen Kriegsgefangenen die größte Opfergruppe des NS-Terrors.

Ihre Vernichtung war von der NS Führung, der Wehrmacht, den Wirtschafts- und Wissenschaftseliten im Generalplan Ost eingeplant. Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung im Osten wurde vorausgesetzt und die Vertreibung der in ihren Augen minderwertigen Slawen, die brutale „Germanisierung“ der geraubten Gebiete durch Vertreibung der dortigen Bevölkerung sowie die Ausplünderung waren Ziele der deutschen Lebensraumpolitik. (so Dr. Makhotina in Regensburg am 21.Juni21)

Das 900 tägige Aushungern von Leningrad mit fast einer Million Toten war ein kalkuliertes Menschheitsverbrechen.

Das Oberkommando der deutschen Wehrmacht machte darüber hinaus mit Sonderbestimmungen, wie dem Kriegsgerichtsbarkeits- Erlass, der die Ermordung „feindlicher Zivilpersonen“ außer Strafe stellte, den Weg frei für diese Menschheitsverbrechen.

Wehrmacht, SS - Einheiten und Gestapo sonderten gegen geltendes Völkerrecht in süddeutschen Kriegsgefangenenlagern Hammelburg, Nürnberg-Langwasser und Moosburg Offiziere, kommunistische Funktionäre, Intellektuelle und Juden zur Ermordung aus.

Mit dem so genannten „Kommissarbefehl, den damit verbundenen Einsatzbefehlen Nummer 8 und 9, die das Reichssicherheitshauptamt in enger Abstimmung mit dem Oberkommando der Wehrmacht erließ, waren Kriterien und Vorgehen festgelegt worden für das von Wehrmacht, SS und Gestapo durchzuführende Mordprogramm.

Hier in Hebertshausen mussten sich die Kriegsgefangenen in Fünferreihen aufstellen. Mit Handschellen wurden sie an Pfähle gekettet und von SS Lagerpersonal erschossen. In Todesangst schreiende oder weinende Opfer verhöhnten sie oft noch.

Vor 77 Jahren, als ich mit meiner Mutter und meinen beiden Geschwistern im Ghetto Theresienstadt am 8. Mai 1945 von der Roten Armee befreit wurde, fragte niemand, ob es sich um Russen, Ukrainer, Weißrussen oder Georgier handelte. Sie waren die Befreier für uns, die sich alle als Kämpfer der sowjetischen Armee für die Niederringung der Nazi-Wehrmacht mit ihrem Leben eingesetzt hatten.

Uns alle, die befreiten Verfolgten des Faschismus aus den verschiedenen Ländern und die Soldaten der Anti-Hitler-Armeen der Alliierten, erfüllte die Hoffnung auf eine neue Welt des Friedens und der Völker- verständigung. Ohne Faschismus, ohne Nationalismus und rassistische Ausgrenzung!

In den Jahren und Jahrzehnten nach dem 8. Mai 1945 wurden jedoch weltweit und - auch in Europa - weiter Kriege mit grausamen Verbrechen, Völker- und Menschenrechtsverletzungen geführt.

Ich erinnere an den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, an den Krieg gegen Vietnam mit dem Einsatz chemischer Waffen und Flächenbombardements, der über 2 Millionen Menschen umgebracht hat und die bisher größten, andauernden Umweltzerstörungen und Schädigungen der nächsten Generationen. Ich erinnere an den Kriege im ehemaligen Jugoslawien, im Kosovo, im Irak, in Afghanistan, ebenso wie in Tschetschenien und Georgien, in Syrien, Libyen, .. um nur einige dieser Kriege ins Gedächtnis zu rufen. Auch die Bundesrepublik war und ist an etlichen dieser Verheerungen durch Waffenlieferungen, logistische, finanzielle und politische Unterstützung beteiligt.

Der Krieg im Jemen mit über 370000 Toten ist bei uns kaum der Rede wert, wie auch die aktuellen, wiederholten völkerrechtswidrigen Angriffe des Nato Mitglieds Türkei auf Kurden im Nordirak. Und nun erleben wir das Leiden der Menschen in der Ukraine, verursacht durch den brutalen Angriffskrieg der russischen Führung.

Wir weisen Begriffe wie „Antifaschismus“, „Völkermord“ und „Entnazifizierung“ zurück, die von der russischen Führung verwendet werden, um das Ungeheuerliche des Überfalls zu rechtfertigen. Hier werden nicht nur Begriffe missbraucht, sondern auch Geschichte verfälscht. Hoffnungen der Befreiung des Jahres 1945, gleichberechtigt mit allen Menschen und Völkern in Frieden zu leben, werden erneut niedergedrückt.

Als Lagergemeinschaft Dachau haben wir Anfang März 2022 Stellung bezogen: „Die Waffen nieder – Nein zum Krieg – Hände weg von der Ukraine! (...) Der russische Angriff auf die Ukraine ist ein eindeutiger Bruch des Völkerrechts und durch nichts zu rechtfertigen. (...) Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung. Die humanitäre Hilfe und Schutz für Geflüchtete müssen nun an erster Stelle stehen. (...)

Unser Land hat eine besondere Verantwortung gegenüber den Menschen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wie u.a. Belarus, Ukraine und Russland, wie das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede anlässlich des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor 80 Jahren im Juni 2021 betonte. „Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei... 27 Millionen Menschen hat das nationalsozialistische Deutschland getötet, ermordet, erschlagen, verhungern lassen, durch Zwangsarbeit zu Tode gebracht.“

Verschleppte Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion stellten eine der größten Häftlingsgruppen im KZ Dachau. Als Lagergemeinschaft Dachau e.V. betonen wir daher die besondere Verantwortung unseres Landes und der Regierung, die Forderung der 1945 befreiten Häftlinge "Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg" weiterhin zum zentralen Anliegen unseres politischen Handelns zu machen.“

In der Erklärung internationaler Komitees der nationalen Vereinigungen der Nazi Konzentrations- und Vernichtungslager (März 22) heißt es: „(...) Keiner von denen, die den Krieg erlitten haben, keiner von denen, die dieses schmerzhafte Erbe tragen, erträgt die Aussicht auf die Rückkehr tragischer Zeiten.“ (...) „Wir verurteilen den gegen die Ukraine geführten Krieg, der die Existenz des Landes und den Frieden in Europa gefährdet. Dieser militärische Angriff stellt eine klare Verletzung des Völkerrechts dar.“ ... „Wir sind davon überzeugt, dass jeder politische Konflikt am Verhandlungstisch gelöst werden kann, wenn beide Seiten Vernunft und Menschlichkeit an den Tag legen. Beenden Sie diesen Krieg sofort!“

Unser Erinnern und Gedenken richtet sich gegen Vergessen, Relativieren und Ausblenden dieser in der Geschichte nie dagewesenen Menschheitsverbrechen von Nazideutschland. Alte und neue nationalistische Kräfte profitieren vom Vergessen, Verzerren und von einer Erinnerung ohne Verantwortung für die Gegenwart.

Bestrebungen gegen die Remilitarisierung in der Bundesrepublik, gegen atomare Bewaffnung und Teilhabe, Aktivitäten zur Abschaffung der Atomwaffen, zur Abrüstung, zur Rüstungsbegrenzung und Kontrolle, die sich auch in der DDR entwickelten, sind zentrale Errungenschaften und Konsequenzen ganz Deutschlands nach der Befreiung von Faschismus und Krieg. Sie sind bis heute auf das engste mit der Demokratisierung unseres Landes verbunden.

Nie wieder sollen uns Nationalismus und Militarismus, Antisemitismus und Rassismus gegeneinander aufbringen und uns zu Tätern an anderen Menschen und Völkern machen.

Friedensbestrebungen, wie die Entspannungspolitik, Interessensausgleich, Abrüstung, Rüstungsexporte eindämmen, keine Waffen in Kriegsgebiete und Konfliktregionen..., das alles gehört mit zum Wertvollsten in der Kultur unseres Landes, was maßgeblich durch die Friedensbewegung in Gang gebracht wurde.

Dieser Krieg Russlands gegen die Ukraine ist eine – neuerliche – , schlimme Niederlage für diese Hoffnung. Das zeigt sich leider aktuell auf allen Seiten in der Zunahme nationalistischer Propaganda. Geschichte wird verzerrt, als Waffe eingesetzt, was nur dem Aufbau alter und neuer Feindbilder dient und das Zusammenleben der Menschen aktuell und über den Krieg hinaus immer mehr erschwert. Politiker werden herabgewürdigt und angegriffen, weil sie nicht bedingungslos und schnell genug den Krieg verschärfenden Maßnahmen - wie der Lieferung von schweren Waffen - nachkommen.

Dass sich die Ukraine gegen den russischen Überfall wehrt und dafür auch um militärische Unterstützung nachsucht, ist verständlich.

Mit großer Sorge betrachten wir die Folgen dieses Krieges, eine militärische Ausweitung und Entgrenzung, die zu mehr Menschenopfern, Gräueln, Zerstörung und von Verwüstung von Lebensgrundlagen bedeutet. Und auch eine atomare Kriegsführung riskiert.

Als könnte es nur eine militärische Lösung geben, wird in Politik und Medien bei uns fast ausschließlich über Waffensysteme gestritten, die an die Ukraine geliefert werden sollen. Die Stimme derjenigen, die sich für diplomatische Verhandlungsschritte und -lösungen stark machen, wird zu wenig zu Gehör gebracht. Dabei geht es darum diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden!

Nützt dazu das gigantische Aufrüstungsprogramm, das die Bundesrepublik und andere Staaten beabsichtigen? Schon jetzt gibt die NATO ca. 18 mal mehr für Armeen und Rüstung aus als Russland, ohne dass dies den Krieg verhindert hätte.

Wir brauchen Deeskalation und Abrüstung auf allen Seiten, deutlich mehr Diplomatie und vor allem die strikte Einhaltung des Völkerrechts durch alle Staaten.

Aufrüstung ist kein Weg zur Friedenssicherung, auch weil damit die dringend benötigten Mittel zur Eindämmung der Klimakatastrophe und des sozialen Elends drastisch beschränkt werden.

Es gibt keine Alternative, als uns jetzt gegen jeden Nationalismus, Rassismus und Antisemitsmus zu wenden und für die sofortige Beendigung des Krieges gegen die Ukraine einzutreten:

Für den Schutz und die Rechte aller bedrohten Menschen : für die Menschen in der Ukraine, für die protestierenden Menschen in Russland, für alle Flüchtenden.

9. Gedenkveranstaltungen zum 8. Mai 2022

finden sich unter:

https://www.friedenskooperative.de/termine