Friedensarbeit der Kirchen in der DDR

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Vom 13. Werkstatt-Tag der Regionalgruppe Magdeburg am 23. 10. 2021 gibt es zu erzählen und wir würden uns freuen, wenn Du uns auf dem Weg mit begleitest. Die Teilnehmenden kamen aus Erfurt, Halle, Neinstedt und Magdeburg zusammen.  Der katholische Theologe Joachim Garstecki, 1974 – 1990 Referent für Friedensfragen in der Theologischen Studienabteilung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR (BEK), hielt das Einführungsreferat. Die 12 Teilnehmer*innen spürten dann mit eigenen Erinnerungen und Originaltexten dem DDR-Erbe nach. Der Tag hat uns derart viele Impulse mitgegeben, dass die Idee entstand, diesen Impulsen in 5 Folgen nachzuspüren und sie mit Euch hier und in der „Versöhnung“ zu teilen. Heute also ein 1. Impuls, sozusagen ein Überblick über das Erbe.

Der ReferentHoffnungskirche
Vom Weg der Kirchen der DDR zur Kirche des Friedens

Waren die evangelischen Landeskirchen der DDR zunächst noch stärker mit der EKD verbunden und nur in der Konferenz der Kirchenleitungen zusammengeschlossen, so änderte sich das nach 1968. Die neue Verfassung der DDR beabsichtigte u.a., diese Verbindung zu unterbrechen. 1969 wurde der BEK gegründet, in dem die sehr unterschiedlichen Landeskirchen zusammenwuchsen und mehr und mehr zu gemeinsamen Positionen fanden. Anregungen dafür kamen auch aus der weltweiten Ökumene. Die Friedensarbeit der DDR-Kirchen ist also weder die erste noch die einzige gewesen, sondern hat auch sehr von ihrer Einbindung in die Ökumene gelebt und Kontakte zu Kirchen der BRD behalten. Hier seien einige bedeutsame Stationen benannt:

  • Der spannungsvolle und fruchtbare Weg der evangelischen Kirchen mit den Basisgruppen (Friedens-, Umwelt-, Menschenrechtsgruppen…) begann in den 60iger Jahren. Basisgruppen melden sich immer wieder zu Wort.
    1964: Einführung des Wehrdienstes in der DDR. Zunehmend verweigern auch Christen den Wehrdienst,
  • 1964 Baueinheiten werden als staatlicher Versuch eingerichtet, die Verweigerer zu isolieren. Stattdessen gingen von ihnen entscheidende Impulse der christlichen Friedensarbeit aus (Friedensseminare z.B. Rudolf Albrecht; Entscheidungshilfen und Begleitung neue Bausoldaten). Die Baueinheiten gab es nur in der DDR.
  • 1965 Handreichung der evangelischen Kirche für die Seelsorge an Wehrpflichtigen:
    Verweigerung (Baueinheiten und Totalverweigerer) gebenein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn“.  Wir als Kirche erkennen sie als unsere Zeugen vor Ort an und begleiten sie genauso wie die Totalverweigerer.
  • 1969, ein Jahr nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung der DDR mit dem Versuch, die Ost-Kirchen von der EKD zu trennen, schließen sich die Landeskirchen der DDR zum BEK zusammen. Einerseits werden die Landeskirchen von der EKD weiter finanziell unterstützt. Andererseits gehen sie seit dieser Zeit noch mehr als vorher schon eigene Wege, vor allem in Fragen des Friedens.
  • 1974 Menschenrechtsfragen auf der kirchlichen Tagesordnung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR.
    1975 wird die Schlussakte der KSZE in Helsinki unterzeichnet, die es auch in der DDR ermöglichte, Menschenrechtsfragen zu thematisieren.
  • 1978 Widerspruch der evangelischen Kirchen gegen die obligatorische Einführung des Wehrunterrichtes an Schulen
  • 1980 Beginn der Ökumenischen Friedensdekaden (10 Tage im November) im Kontakt mit den Kirchen der BRD.
  • Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche wegen der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“. Jugendliche tragen das Friedenssymbol massenhaft und fordern damit die staatliche Gewalt zum Eingreifen heraus.
  • 1982 Halle:“ Frieden – Zusage und Aufgabe“ – Ein Pazifismus-Papier des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR zur Frage, was Kirche vom Pazifismus (u.a. Versöhnungsbund) lernen kann.
  • 1982 Leitfaden zur Seelsorge in Fragen des Wehrdienstes der evangelischen Kirchen, der die Position von 1965 aufnimmt und weiterführt.
  • 1982 erstmals „Absage an Logik und Praxis der Abschreckung“ als öffentliche Stellungnahme des Bundes.
  • 1983 Synode in Potsdam: Friedensverantwortung und „status confessionis“: Damit wird klar, dass Frieden kein Thema unter anderen ist, sondern zur entscheidenden Frage für die Zukunft und deshalb als Frage des christlichen Bekenntnisses gesehen wird. „Gemeinsame Sicherheit“ im Sinne von Olof Palme, schwedischer Ministerpräsident, wird als Forderung für eine lebbare Zukunft erhoben.
  • 1984: Synode in Greifswald: Christliche Verantwortung für die Schöpfung. Umweltfragen galten in der DDR als Privileg der SED und durften nur von ihr angesprochen und entschieden werden.
  • 1986: Synode Erfurt: Wehrdienstverweigerer, Ökumenische Versammlung, Friedensfragen auf der Tagesordnung.
  • 1987 Synode in Görlitz: „Bekennen in der Friedensfrage“. Von Glauben und Theologie aus werden „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“ und „Gemeinsame Sicherheit“ als gemeinsames Bekenntnis der evangelischen Kirchen entfaltet und veröffentlicht.
  • 30. April 1989 Dokumente der Ökumenischen Versammlung 1988/89 in Dresden-Magdeburg-Dresden werden veröffentlicht. Darin nehmen alle 19 Kirchen und kirchlichen Vereinigungen zusammen mit Basisgruppen (25% der Teilnehmenden) die o.g. zentralen Friedenspositionen auf und weiten sie auf die Fragen nach Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aus. Dieser sog. Konziliare Prozess besagt, dass Christen seither ihre Mitverantwortung für diese gesellschaftlichen Prozesse erkennen, beschreiben und wahrnehmen – und damit jeweils das Ausschließlichkeitsmonopol des Staates dafür beenden.
  • Im Mai 1989 veröffentlicht der Bund Evangelischer Kirchen eine Neuinterpretation des Augsburgischen Bekenntnisses von 1530, Artikel 16 (CA 16), in dem die gesellschaftliche Aufgabe der Christen im Sinne der Ökumenischen Versammlung beschrieben wird. Darin kommt einerseits die aktuelle Bedeutung der gesellschaftlichen Verantwortung von Christen zur Sprache und andererseits die Absage an die lutherischen Schwerpunkte, dass Christen „rechtmäßig Kriege führen, in ihnen mitstreiten“ usw. können.
  • 1989, Juli, Erklärung der Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung in ihrer Reihe EKD-Texte 29: „Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung? Anmerkungen zur Situation des Christen im Atomzeitalter“. Darin erteilt sie einem Schwerpunkt der DDR-Friedensarbeit, nach dem Verweigerung des Wehrdienstes als Totalverweigerer oder Bausoldaten „ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn“ sind, für ihren Bereich eine Absage. Die EKD fordert die Gleichberechtigung von Wehrdienst und Zivildienst als Friedensdienst ein. Der Politik wird für die Entscheidung ein großer Stellenwert eingeräumt. Anlass für die Schrift sind die Beschlüssen von 2 Landessynoden (Westfalen und Rheinland) sowie die Erklärung von 16 Hamburger Hochschullehrern, die sinngemäß den DDR-Kirchenbeschluss übernahmen.
  • August 1989: Brief der Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR an die Gemeinden, verfasst von Bischof Dr. Demke, Magdeburg, darf „nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch“ kopiert oder bei Abkündigungen verlesen werden. Er geht den 3 Fragen nach:
    • Wo stehen wir heute?
    • Was muss sich ändern?
    • Was soll beibehalten werden?
    Unter der Hand weitflächig verteilt, bildet der Brief eine wesentliche Grundlage für Gespräche und Orientierungen in Gemeinden und über sie hinaus.
  • Während der Friedlichen Revolution im Herbst und Winter 1989 sind viele Menschen, darunter oft Christen und Kirchen, geistesgegenwärtig: Mit Veröffentlichungen bringen sie Gespräche in Gang, mit ihren Protesten gegen staatliche Gewalt machen sie Unrecht öffentlich, mit ihrem persönlichen Engagement, ihren offenen Kirchen und Friedensgebeten, mit Gebeten und Kerzen und „Keine Gewalt!“ geben sie der Revolution ihre gewaltfreie Ausrichtung.
    Stellvertretend übernehmen sie Rollen für offene Versammlung, runde Tische, Praxis der Meinungsfreiheit, aktive Gewaltfreiheit, Kanäle für neue Initiativen und Parteiengründungen…
  • 15. – 19. September 1989 Synode Eisenach: u.a. demokratische Reformen, Reisefreiheit, Recht auf Demonstrationen eingefordert.
  • Nach der Öffnung der Grenzen bringen viele Christen ihre Erfahrungen mit Demokratie und schwierigen Übergängen ein, um einen geordneten Übergang in neue gesellschaftliche Wege zu gestalten.
  • 1991 wird der BEK in die EKD übernommen. Die evangelischen Ost-Landeskirchen werden von der EKD sehr stark finanziell unterstützt. Die Friedensarbeit der DDR-Kirchen wird ebenso wie andere Bereiche als beendet angesehen und archiviert.

Joachim Garstecki war bereits Ende 1990 entlassen worden, da ein katholischer Theologe nicht in einem EKD-Leitungsteam mitarbeiten dürfe.


Hier noch eine Auswahl wichtiger Anstöße der EKD zu gesellschaftlichen Debatten

1959 Heidelberger Thesen

1965 Ost-Denkschrift

1981 Friedensdenkschrift

1985 Demokratie-Denkschrift

1989, Juli, Erklärung der Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung in ihrer Reihe EKD-Texte 29: „Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung? Anmerkungen zur Situation des Christen im Atomzeitalter“.

1997 ökumenisches Sozialwort

2007 Friedensdenkschrift

2019 Synode der EKD in Dresden zur Friedensfrage

1982 Erklärung des Moderamens (Vorstand der Synode) des Reformierten Bundes in der BRD: „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche“
Die „Ausgewogenheit, Zweideutigkeit und Unentschlossenheit der EKD“ inmitten des kalten Krieges und der Stationierung atomarer Massenvernichtungsmittel haben den Reformierten Bund der BRD zu dieser Erklärung herausgefordert. Frieden wird für die Reformierten zur „Bekenntnisfrage“, Abrüstung und zivile Konfliktlösungen werden Überlebensfragen.

Liebe Leser*in, wenn Du bis hierher gefolgt sein solltest, dann hast Du einen Überblick über das Erbe der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR sowie einige Zusammenhänge bekommen, was so sonst kaum zu finden ist. Wenn in den weiteren Folgen einzelne Themen dieses Erbes bedacht werden, dann wird Dir eine Einordnung gut möglich sein.

                            Barbara und Eberhard Bürger