Hoffnung ist nicht die Religion der Irrationalität sondern entspringt der Rationalität der Liebe: Eine atomwaffenfreie Welt ist eine humane Selbstverständlichkeit. Fragen und Thesen

Gespeichert von Matthias-W Engelke am

Fragen und Thesen zur 6. Öffentlichen Fastenaktion am Atomwaffenlager Büchel vom 31. Juli - 9. August 2015

 

1. Im Kampf gegen Atombomben sind Soldaten unsere potentiellen Verbündeten.
Wie findet das seinen Ausdruck?
Das betrifft auch die eigene Umkehr, indem Amt und Person sowie die Institution Bundeswehr und die sie verkörpernden Person getrennt und für sich wahrgenommen werden.

 

2. Das Arbeitsplatz-Argument enthält einen bislang ungenutzten Spielraum: Es ist nicht automatisch ein Argument für den Erhalt der Atomwaffen.
Es lässt außerdem offen, dass bei anderen oder besseren Arbeitsplätzen die Zustimmung zum Atomwaffenlager als Arbeitgeber schwinden kann.

 

3. Atombomben sind keine rein politische Waffe, die NATO übt mit ihnen:
Die NATO übt im Oktober 2015 den Einsatz von Atombomben der Vereinigten Staaten von Amerika mit deutschen Tornado-Kriegsdüsenjets. Das sollte nicht ohne Aktionen, Mahnwachen, Blockaden o.ä. vonstatten gehen.

 

4. Was weiß die überregionale Presse von der Fastenaktion – was will sie davon wissen?
Die diesjährige Fastenaktion fand Beachtung in der lokalen Presse, vom russischen Fernsehen, vom Friedensbeauftragten der EKD und dem Ratsvorsitzenden der EKD aber nicht von der überregionalen deutschen Presse – was für eine Allianz?!

 

5. Der Willkür der Bundeswehrverwaltung ist zu widersprechen.
Die Bundeswehrverwaltung in Wiesbaden hat willkürlich eine angeblich 50-Meter-Abstandszone vom Bundeswehrzaun festgelegt. Auch das Errichten eines Versammlungszeltes war uns in diesem Bereich nicht erlaubt. Die vorgegebene Linie wurde kritiklos und ohne Prüfung von der zivilen Verwaltung in Cochem übernommen. Diese Auflage hielt jedoch einer Überprüfung nicht stand. Wie ist eine professionelle Unterstützung für Friedensaktivisten möglich, die schnell, zeitnah und kompetent zur Stelle ist und den Geldbeutel der Fastenden nicht belastet?

 

6. Die geistliche Auseinandersetzung nicht scheuen: Es gilt, der geballten Ansammlung unmenschlicher Destruktivität und der irrationalen Naivität in der Auffassung „Aufrüstung garantiere den Frieden“ den Glauben in die Kraft der Liebe und der Wahrheit entgegenzusetzen. Dieser Glaube kann Berge versetzen.

 

7. Fasten und ziviler Ungehorsam sind Geschwister, sie gehören zusammen und leben getrennt; es ist gut, wenn sie hin und wieder zusammen kommen. Das Fasten macht den Ernst deutlich, worum es geht, der zivile Ungehorsam die Dringlichkeit, dass sich etwas ändern muss – bei den Soldaten, bei Politikern, in der Öffentlichkeit etc.

Ziviler Ungehorsam ist ergänzungsbedürftig wenn er geschieht, weil man Berührungsängste im Gespräch mit Polizisten und Soldaten hat; Fasten ist ergänzungsbedürftig, wenn es geschieht um sich selbst zu beweisen und es nicht der Feier des Lebens dient.

 

8. Wie schützen wir uns vor Allmachtsphantasien des Aktivismus und vor Ohnmachtsanfällen des Grauens?
Dieses kann zum Diabolisieren führen – diejenigen, die das Atomregime unterstützen, werden verteufelt. Allmachtsphantasien – als wenn die Aufgabe, vor der wir stehen in kurzer Zeit bewältigt werden könnte – entmächtigen, weil zu leicht übersehen wird, was jetzt schon möglich ist – und notwendig ist für die nächsten und übernächsten Schritte, die ohne ihre Vorgänger nicht möglich sind; Allmachtsphantasien füttern auf heimtückische Weise nur die Ohnmachtsgefühle.
Wir leben aus der Kraft der Hoffnung.

 

9. Aschram auf Zeit: Ein öffentliches Fasten von einer Dauer von länger als einer Woche und wohl mit mehr als etwa sieben Personen ist wie ein Aschram auf Zeit. Das verlangt nach einer gestalteten und miteinander vereinbarten inneren und äußeren Struktur:
- Regeln für wiederkehrende tägliche Aufgaben;
- Gewohnheiten fürs Zusammenleben;
- Strukturen für Ämter und Aufgaben;
- inhaltliche Schwerpunkte z. B. zu aktuellen Fragen der atomaren Bedrohung genauso wie über Vor- und Nachteile verschiedener Formen zu fasten, geistliche und körperliche Übungen in der Gewaltfreiheit etc.

 

10. Als Fastende benötigen wir mehr Zeit für körperliche Bewegung – aber nicht für mehr Aktionen; hier ist die Unterstützer-Gruppe mehr gefragt.

 

11. Die viele Zeit für Gespräche und den Austausch von Ideen sowie ungeplante und freie Vernetzungen ist ein wunderbarer Schatz dieser Fastenaktion, vielleicht der wichtigste.

 

12. Wider die Vereinzelung:
Wenn ein Soldat seine Offenheit oder gar Sympathie den Fastenenden gegenüber zeigt, dann ist das gewiss nicht der Beginn der Flut, aber möglicherweise zeigt es das Ende der Ebbe an. Das Argument „das ist doch nur einer!“ ist spiegelbildlich identisch mit der formelhaften Ausrede „ich als Einzelner kann ja doch nichts tun“ und bestärkt die Diktatur der Hoffnungslosigkeit und Vereinzelung.

 

13. Die Rationalität der Hoffnung: Hoffnung ist nicht die Religion der Irrationalität sondern entspringt der Rationalität der Liebe: Eine atomwaffenfreie Welt ist eine humane Selbstverständlichkeit; dass sie freiwillig herbeigeführt wird ist eine menschliche Notwendigkeit; alles andere ist außerhalb menschlicher Vorstellungskraft und damit reine Irrationalität.

 

14. Wir sind keine Wahrsager, aber es ist unsere Kraft, zu sagen, was wahr ist, öffentlich.

 

15. Wie kann die Bundeswehr als Institution überwunden werden?
Die Bundeswehr ist nicht unser Gegner, der besiegt werden muss. Der Mensch strebt in der Regel nach dem Besseren. Wie kann die Struktur, die die Bundeswehr verkörpert, im Sinne von Walter Wink überwunden werden? In eine Institution mit Fachleuten für den Technischen Hilfsdienst und gewaltfreien Zivilen Friedensfachkräften als Alternative und nicht als Ergänzung zum Militär!

 

16. Der Zusammenhang von innerer und äußerer Befreiung ist deutlicher zu machen: Durch das Fasten leisten wir einen Beitrag zur inneren Befreiung von Plastik-Partikelchen, Giften und Schadstoffen, die wir durch die Industrialisierung, die Verschmutzung der Umwelt und überirdischen Atomwaffentests u.a. in uns aufgenommen haben; und das Fasten dient der äußeren Befreiung von der Gewalt der Atomkette, die die Welt von der Uran-Forschung, über den Uran-Abbau bis zu den Atomkraftwerken und Atomwaffentests und Atomwaffen in Abhängigkeit fesselt. Die Auseinandersetzung kann z. B. beinhalten
- die Unterstützerregimes nambar zu machen;
- dazu beitragen, Unterstützungsmechanismen auszutrocknen durch das Unterlassen ihrer direkten und indirekten Geld-, Zeit- und Kraftzufuhr.

 

17. Vorschlag für eine zukünftige Bezeichnung: „7. Öffentliches Befreiungsfasten“ 
Befreiung von der Atomkette – Frei für eine Welt ohne Atombombe.

 

18. Befreiungsfasten will auch feiern:
Als Befreiungsfasten kann die Befreiung von Schadstoffen und politisch-wirtschaftlicher Unterdrückung jetzt schon gefeiert werden. Wie kann das nicht nur beim Fastenbrechen sondern auch während einer Fastenaktion Ausdruck finden?

 

19. Das Befreiungsfasten ist offen für andere Gruppen, die sich mit anderem Zeitkontingent ganz oder teilweise und mit ihrem jeweiligen Glaubenshorizont anschließen wollen. Gewaltfreiheit ist die Basis für das gemeinsame politische Handeln.

 

20. Das Einwirken auf die deutsche Öffentlichkeit in gleicher Weise wie in Büchel öffentlich auf das Unrecht der Atomkette und speziell die atomare Bewaffnung in einem deutschen Bundeswehrstandort hinzuweisen, kann ausgeweitet werden.

 

21. Wer fastet und wer unterstützt sollte in der Öffentlichkeit auch im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit transparent sein. Das beinhaltet z. B. Zeiten und Orte für Mahlzeiten für die Unterstützergruppe.

 

22. Das Befreiungsfasten führt auch in eine geistliche Auseinandersetzung:
Gewalt hat viele Gründe, aber bewirkt nichts fürs Leben und für den Frieden.
Liebe ist grundlos, sie ist spontan, immer ursprünglich, aber nie ohne Wirkung für Leben und Frieden.

Der Irrtum ist: Wer an Gewalt glaubt, glaubt, dass sie – weil sie als Mittel zum Zweck dient – für einen guten Zweck etwas Gutes bewirkt. Sobald Gewalt angewandt wird, verwandelt sie sich, von einem Mittel zu einem Selbstzweck - was sie von Anfang an, verborgen hinter einem Schleier von Täuschung und Selbsttäuschung, ist.

Wer an die Liebe glaubt wird merken, dass das allein nicht ausreicht um die Welt zu verändern: Ohne Denken, Ausdauer, Gemeinschaft, Wahrhaftigkeit, Wissen und Können u.a.m. geht es nicht; Liebe ermöglicht dies alles aber ist es nicht.

Es gilt den Streitgegner nicht bei seinen Schwächen zu treffen sondern ihn auf seine Stärken hin anzusprechen.
Denn wird der Streitgegner bei seinen Schwächen angegriffen, liegt der Gedanke nahe, dass es nur nötig sei, die Schwächen abzustellen, um noch stärker zu werden; und ist der Friedensbewegung womöglich noch dankbar auf Schwächen aufmerksam gemacht worden zu sein, die ohne sie gar nicht aufgefallen wären und nun abgestellt werden können.

Ziel der Auseinandersetzung ist es nicht, den „Feind“ zu überwinden und die Entgegensetzung von Sieger und Besiegtem damit weiter zu bedienen, sondern die Feindschaft zu überwinden, indem aus dem gegenseitigen Streit ein mit- und füreinander streiten wird für eine gerechtere Welt, eine Welt frei von Atomwaffen.

Wenn wir aber nicht in der Lage sind, in den Soldaten zukünftige Bündnispartner für eine gerechtere Welt und eine Welt frei von Atomwaffen zu erkennen, werden wir dann für sie als Bündnispartner angenommen werden können, wenn sie auf uns zukommen, um diesem Ziel näher zu kommen? Und werden wir dann solche Chancen überhaupt wahrnehmen?

 

23. Die Zusammenarbeit zwischen der Friedensarbeit vor Ort am Atomwaffenlager und der überregionalen Friedensarbeit kann intensiver werden. Im Vorfeld wurde in verschiedenen überregionalen Zeitschriften und Veröffentlichung selbst der Friedensbewegung auf die öffentliche Fastenaktion nicht hingewiesen (z. B. Ohne Rüstung leben, Versöhnung). Wenn die Hiroshima- und Nagasaki-Gedenktage thematisiert werden, sollte es sich von selbst verstehen, dass auf die Stützpunkte der Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika in Europa hingewiesen wird und zugleich auf die dort und an anderen Orten stattfindenden Aktionen u. a. der internationalen Fastenaktionen.

 

24. Das internationale Fasten kann in seiner Bedeutung und Wahrnehmung noch verbessert werden. Hier wäre eine verbesserte Technik und einfachere Abläufe hilfreich (peer to peer-Austausch in Zweierverbindung als Basis; nur bei stabiler Technik größere Konferenzen).

 

25. Der Kontakt zu Politikern vor und nach einer Fastenaktion kann ausgebaut werden. Das betrifft die eigenen Landtags- und Bundestagsabgeordneten wie auch andere Mandatsträger. Zukünftig ist es wohl nötig, Aufgaben untereinander aufzuteilen und Menschen dafür zu gewinnen, um die Möglichkeiten einer Fastenaktion besser ausschöpfen und einer Überforderung Weniger vorbeugen zu können.

 

26. Für 2016 ist im Gespräch, das 7. Öffentliche Befreiungsfasten von der Gewalt der Atomkette und für eine atomwaffenfreie Welt in Berlin beginnen zu lassen verbunden mit verschiedenen Aktionen zivilen Ungehorsams vor den Botschaften der offiziellen und inoffiziellen atomwaffenführenden Staaten. Eine gute Zusammenarbeit von Fastenden und Unterstützergruppen ist gerade dafür besonders wichtig. Die Vorbereitungen dafür sollten schon bald beginnen.

 

27. Gewöhnung und Vertrauen
Die wenigsten Soldaten am Atomwaffenstandort in Büchel und in Cochem-Brauheck – dort ist die Verwaltungseinheit des Atomwaffenstützpunktes – dürften ihren Dienst tun, weil sie gezielt und unbedingt mit den Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun haben wollen. Das birgt Handlungspotentiale für die Friedensarbeit. Das System einer Armee fußt nicht einfach auf Befehl und Gehorsam sondern auch auf Gewöhnung und Vertrauen. Sobald jemand am Atomwaffenstützpunkt Büchel angekommen ist, wird die Gewöhnung einsetzen und das Vertrauen dies bestärken, dass es schon zu irgendetwas gut sei – und wenn es der Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes ist.

Hier kann die Friedensbewegung ansetzen, passiv und aktiv:
a) Passiv: Durch Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit, Transparenz und Glaubwürdigkeit; auf der Basis der aktiven Gewaltfreiheit kann ein anderer Gewöhnungsprozess einsetzen, der Soldaten mit Menschen der Friedensarbeit vertraut macht. Dagegen steht, dass Soldaten der oberen Ränge recht häufig versetzt werden. Viele aber bleiben vor Ort solange es nur geht. Die persönliche Begegnung mit Soldaten und ihren Angehörigen vor Ort ist darum sehr wichtig. Das dürfte am ehesten in den Wohnorten der Soldaten und ihren Familien möglich sein.
b) Aktiv: Soldaten vertrauen der Bundeswehr und ihrer politischen Führung. Dem setzen wir etwas Besseres entgegen. Wir säen kein Misstrauen, sondern verkörpern das Vertrauen in die Wahrheit, die Kraft der Fragen und Fakten und die verändernde Wirkung der Liebe. Was bei einer Armee notwendigerweise beschränkt und partikular ist, dem setzen wir das entgegen, was weit und befreiend ist. Und dies in aller Öffentlichkeit.

 

Steyl, den 8. September 2015