"Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da"

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Foto: Shigemi Ideguchi (Jürgen Larys) richtet sich nach der Explosion auf und versucht die Situation zu (er)fassen. (Foto: Kreisvolkshochschule Viersen)

Gemeinsam mit anderen Organisationen veranstaltete die Regionalgruppe Viersen des Internationalen Versöhnungsbundes verschiedene Gedenk- und Mahnaktionen zu den Jahrestagen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. In diesem Rahmen wurde am 4. August 2023 in der Alten Kirche in Lobberich / Nettetal das bewegende Bühnenstück "Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da" aufgeführt. Die Kreisvolkshochschule Viersen berichtete am 7. August:

"Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da"

Inszenierung des artENSEMBLE THEATERs in Lobberich geht unter die Haut

Die Spielfläche im Altarraum der Alten Kirche Lobberich eingefasst mit weißen Kieselsteinen, die rauhen Backsteinwände und das bruchstückhafte Altarbild in blaues Licht getaucht. Sieht so die Szenerie für den ersten Atombombenabwurf der Welt aus?

Das artENSEMBLE THEATER aus Bochum hat sich entschieden, alles auf die Kraft des Schauspielers Jürgen Larys als Shigemi Ideguchi, einem Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, und die klangliches Inszenierung aus dem Bühnen-Hintergrund von Susanne Hocke zu setzen. Schon in der ersten Szene zeigte sich, dass es keine Bühnenbilder mit Trümmern braucht, um die Dramatik der Atomexplosion unter die Haut gehen zu lassen. Larys schleppt sich in cremefarbener, zerfetzter Kleidung (was ist eigentlich Kleidung, was sind Hautfetzen?) auf die Bühne und führt damit in die Stunden unmittelbar nach der Explosion ein. Er schafft es bis zum Ende sehr konzentriert, die Eindrücke über die Gestik und die Mimik zu prägen. Mal ist der Körper auf den Boden orientiert, dann wieder fragend und verzweifelnd in den Himmel gerichtet.

Susanne Hocke unterstützt ihn dabei mit Klangschalen, Blockflöten. Wie ein Echo greift sie aber auch immer wieder Sätze von Larys auf und führt sie weiter – als hätte die Figur Ideguchi keine Kraft mehr, sie selbst auszusprechen. Der große Vorteil aus Sicht der Zuchauer*innen: Das Stück erhält darüber einen zusätzlichen Impuls. Überhaupt die Sprache: Beide Schauspieler*innen waren sprachlich hochpräsent. Das gute Zusammenspiel hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das inszennierte Tagebuch des Atombombenabwurfs tief unter die Haut geht. Sie werden Zeugen eines Mannes, neben dem der radiokative Blitz weniger als hundert Mehter entfernt einschlug, der ihm auf der Stelle den Atem und die Sehkraft raubte und den Rücken verbrannte. Langsam reift die Erkenntnis, dass das nie Dagewesene ihm möglicherweise in den nächsten Tagen oder Wochen das Leben kosten wird – so wie den vielen anderen Menschen, die er als Tote oder Halbtote am Weg liegen sieht. Manchen fehlen Haut und Haare, andere können nicht mehr schreien und sterben, ohne dass Ideguchi ihnen helfen kann.

Shigema Ideguchi, der schon im Koma dem Tod entgegengegangen ist, hat den Atombombenabwurf wie durch ein Wunder überlebt. Die Botschaft des Theaterstücks ist so eindeutig wie der Appell der Initiatorinnen Anthoula Kapnidou und Brigitte Hilgenfeld: Atombombenabwürfe dürfen sich nie mehr wiederholen. Der intensive Applaus der knapp 50 Zuschauer*innen war an Nachdenklichkeit nicht zu überbieten.

Quelle: Kreisvolkshochschule Viersen (Hrg.) – Markus Wöhrl; FREI RAUM – Anthoula Kapnidou, 07.08.23